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4.3.5 Kommunikationsstörungen (Leseprobe aus dem Buch "Soft Skills für Young Professionals")

Buch: Soft Skills für Young Professionals bei Amazon

Professionelles Kommunizieren besteht nicht nur darin, grundlegende Techniken der Gesprächsführung wie Fragetechniken, aktives Zuhören, Moderation sowie Verhandlungstechniken zu beherrschen und anzuwenden. Professionelles Kommunizieren setzt auch voraus, dass Sie mit Kommunikationsstörungen geschickt umgehen können. Dazu gehört das Erkennen von Konflikten und Kommunikationsstörungen, das Analysieren und Verstehen von Ursachen, Motivationen und Rollen im Kommunikationsprozess sowie das bewusste Anwenden von Lösungsstrategien, um Störungen und Konflikte zu beseitigen sowie zukünftig präventiv zu verhindern.

Umgang mit Kommunikationsstörungen als Element professioneller KommunikationDer vorliegende Abschnitt vermittelt Ihnen dazu die wesentlichen Störfaktoren zwischenmenschlicher Kommunikation. Es erwarten Sie Grundlagen in der Transaktionsanalyse, das heißt der Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Rollen und Haltungen bei der Kommunikation zwischen Menschen.

Im Anschluss daran werden Sie sich mit typischen Formen des Widerstands beim Gesprächspartner sowie konkrete Ausprägungen dieser so genannten Reaktanz auseinandersetzen. Mit diesem Wissen im Hintergrund lernen Sie danach, welche typischen Gesprächsstörer und Verhaltensweisen Reaktanz provozieren und zu guter Letzt, wie Sie am besten an die Lösung von Kommunikationsstörungen herangehen.

Kommunikationsrollen identifizieren mittels Transaktionsanalyse

Die Transaktionsanalyse wurde von Thomas A. Harris und Eric Berne wissenschaftlich begründet. Sie bietet ein Rollenmodell, um typische Abläufe zwischenmenschlicher Kommunikation und charakteristische Gesprächshaltungen besser zu verstehen.

Das Modell formuliert drei Rollen oder Ich-Formen, die eine Person im Gespräch einnehmen kann:

  1. Die Transaktionsanalyse bietet ein Rollenmodell zum Verständnis von Kommunikationsprozessen und KommunikationsstörungenKind-Ich
  2. Eltern-Ich
  3. Erwachsenen-Ich

Die Charakterisierung dieser Rollen mitsamt ihrer Eigenschaften, Gedanken, Gefühlen, typischen Verhaltensweisen und Beziehungen zueinander erläutert klassische Reaktionen von Gesprächspartnern.

Die Transaktionsanalyse leistet somit einen bedeutenden Beitrag zum Verständnis, wodurch Kommunikation gestört und Widerstandsverhalten wie zum Beispiel Trotz, Auflehnung, Starrsinnigkeit, Bockigkeit oder Ungehorsam provoziert wird. Das Wissen darüber erleichtert Ihnen eine reibungslosere Kommunikation und Interaktion innerhalb von Gruppen und fördert damit aktiv jede Gruppenentwicklung.

Kind-Ich

Das Kind-Ich als spontane, intuitive und unbeeinflusste RolleDas Kind-Ich ist die erste Kommunikationsrolle, die wir einnehmen können und im Leben auch tatsächlich einnehmen. Es ist in seiner Grundform das spontane, intuitive, echte (im Sinne von weitgehend unbeeinflusste) Ich. Das Kind-Ich wird mit wachsendem Alter nicht abgelegt, sondern kommt in vielen Situationen zutage, zum Beispiel wenn Sie etwas spontan wollen, mit etwas gefühlsmäßig absolut nicht einverstanden sind oder wenn Sie unkontrolliert und ungeprüft Dinge äußern oder tun.

Das Kind-Ich wird durch Erziehung gemaßregelt und „sozial angepasst“

Das typische Kind-Ich wird bereits in jüngstem Alter durch den Einfluss der Eltern und der Gesellschaft (Verwandte, Ärzte, später Kindergärtner, Lehrer etc.) angepasst. Ziel dabei ist die Assimilierung in der Gesellschaft und die Anpassung an gesellschaftliche Normen, Standards, Verhaltensweisen, Werte und Moralvorstellungen.

Diese Anpassung wird mehr oder weniger in Form von „Erziehung“ aufgezwungen. Dies führt in den verschiedenen Entwicklungsphasen eines Kindes, Jugendlichen und Erwachsenen zu verschiedenen Formen des Trotzes, der Verweigerung und des Widerstands. Ein solches Verhalten wird allgemein als Reaktanz bezeichnet. Aus dem spontanen Kind-Ich entwickeln sich in der Folge das angepasste und das trotzige Kind-Ich. Letzteres nimmt eine entscheidende Stellung bei vielen Kommunikationsstörungen ein, wie die folgenden Abschnitte verdeutlichen.

Das Kind-Ich kann eine authentische, aber auch eine freiwillig angenommene Rolle sein

Wichtig im Rahmen der Transaktionsanalyse ist die Erkenntnis, dass das Kind-Ich tatsächlich und authentisch vorliegen kann, aber auch eine freiwillig angenommene Rolle sein kann. Als Erwachsener zeitweilig freiwillig in die Rolle des Kind-Ichs zu schlüpfen hat handfeste Vorteile: Die meisten Menschen haben in ihren Leben die Erfahrung gemacht, dass es beim Bedarf von Hilfe mitunter eine effektive Strategie ist, sich klein, schwach und hilflos zu gebärden. In vielen Fällen bewegen Sie auf diesem Weg einen Menschen am schnellsten dazu, Ihnen zu helfen. Der Grund: Die demonstrierte Hilflosigkeit bietet dem Helfenden die Möglichkeit, in der Rolle des helfenden Eltern-Ichs die eigene Überlegenheit und Macht voll auszuleben, ohne dabei Widerstand zu provozieren. Dies verdeutlicht die Betrachtung des Eltern-Ichs. Beispiele für Aussagen aus dem Kind-Ich:

„Ich will das unbedingt haben – das ist toll!“

„Ich habe überhaupt keine Ahnung, wie das geht“

Eltern-Ich

Das Eltern-Ich nimmt in der Transaktionsanalyse und in der Analyse und Behebung von Kommunikationsstörungen die Schlüsselrolle ein. Obwohl es viele negative Eigenschaften und Merkmale vereint, die zu Konflikten, sozialen Spannungen und Missverständnissen führen, kommunizieren die meisten Menschen relativ oft aus dem Eltern-Ich heraus – und dies nicht unbedingt nur Kindern gegenüber.

Das Eltern-Ich als soziales und moralisches Gewissen der Gesellschaft

Das Eltern-Ich repräsentiert in gewisser Weise das soziale Gewissen unserer Selbst und der Gesellschaft. Es verkörpert Werte, Normen, Gebote und Verbote und artikuliert, was man besser tun und besser sein lassen sollte. Ist diese Funktion auf der einen Seite zu begrüßen, ist die Art und Weise der Kommunikation aus dem Eltern-Ich heraus auf der anderen Seite problematisch: Die Rolle des Eltern-Ichs verursacht mit Abstand die meisten Kommunikationsstörungen.

Das Eltern-Ich ist wertend und tendenziell bevormundendDas Eltern-Ich ist wertend und urteilend, kritisch, mahnend, häufig bevormundend, moralisierend, besserwisserisch und gelegentlich autoritär. Obwohl das, was wir aus unserem Eltern-Ich heraus artikulieren, häufig gut gemeint ist und helfen soll, ist es selten erwünscht. Das Wohlmeinende verliert sein positives Potential genau dann, wenn es den Gesprächspartner bevormundet und ihn durch eine anscheinende Vorauswahl von „gut“ und „richtig“ in seiner individuellen Wahlfreiheit einschränkt. Bestes Beispiel ist ein gut gemeinter, aber (noch) nicht gewünschter Rat oder der Versuch, Trost zu spenden, wenn nur Verständnis gefragt ist.

Das besserwisserische Eltern-Ich provoziert ReaktanzDer Ratgebender mag ehrlich helfen wollen, erwirkt aber durch vorzeitiges Urteilen und unerwünschtes „Belehren“ eher das Gegenteil, nämlich Widerstand. Der Grund wird anhand typischer Gesprächsstörer im Folgenden klar. Allgemein liegt das Problem in vielen Fällen darin, dass das Eltern-Ich mit seinen Äußerungen beim Gesprächspartner den Eindruck erweckt, nicht „für voll genommen“, nicht respektiert und vor allen Dingen nicht wertgeschätzt und verstanden zu werden.

Das Eltern-Ich als Standardrolle von erziehenden BezugspersonenDas Eltern-Ich ist in der Alltagskommunikation so beliebt und wird so gern bei jeder sich bietenden Gelegenheit genutzt, weil es eine Position der Stärke, Macht und Überlegenheit manifestiert. Ohne die folgenden Rollen in ein negatives Licht zu rücken, steht es in vielen Funktionen und Eigenschaften stellvertretend für Erziehungsberechtigte, Kindergärtner, Lehrer oder anderweitig erziehende Bezugspersonen.

Unbewusst verfallen Menschen in das Eltern-Ich, weil es ihnen eine einzigartige Form des Wohlgefühls und der Selbstbestätigung gibt: Wer im Eltern-Ich kommuniziert, stärkt sein Selbstbewusstsein, auch wenn diese Kommunikation häufig besserwisserisch, geringschätzend, barsch und vorwurfsvoll ist. Fast alle der weiter unten dargestellten Gesprächsstörer entstammen dem Eltern-Ich. Beispiele für Aussagen aus dem Eltern-Ich:

„Du solltest erst die Hausaufgaben machen, bevor du wieder ewig im Internet surfst!“

„Das machen Sie am besten, indem Sie zuerst die Tabelle erstellen und diese dann im Dokument einfügen. Ansonsten bringt das Programm meinen ganzen Text durcheinander.“

Erwachsenen-Ich

Das Erwachsenen-Ich als objektive und reife Kommunikationsrolle

Das Erwachsenen-Ich stellt die dritte und reife Kommunikationsrolle im Sinne der Transaktionsanalyse dar. Sie ist die weitgehend objektive Ich-Ausprägung, wie sie zum Beispiel insbesondere bei Managern und Wissenschaftlern anzutreffen ist.

Im Erwachsenen-Ich kommunizieren wir sachlich-nüchtern mit Bedacht und Vernunft. Aussagen aus dem Eltern-Ich heraus sind im Regelfall das Ergebnis sorgfältiger Abwägung. Im Gegensatz zum spontan-naiven Kind-Ich sind wir im Erwachsenen-Ich in der Lage, Dinge zu objektiv zu analysieren, Folgen abzuschätzen und komplexe Ursache-Wirkungszusammenhänge in Entscheidungsprozesse zu integrieren. Entscheidungen erfolgen somit zweckrational und nach eingehender Prüfung.

Das Erwachsenen-Ich kommuniziert und interagiert realitätsbezogen, sammelt Tatsachen und wertet diese aus, bevor eine Aussage getroffen oder Handlung vollzogen wird. Es kalkuliert, bewertet und urteilt, dies jedoch auf der Sachebene und in neutraler und konstruktiver Weise. Selbst wenn eine aus dem Erwachsenen-Ich gesendete Botschaft inhaltlich der einer Aussage des Eltern-Ichs gleicht, macht der Ton die Musik und den Wirkungsunterschied. Das Erwachsenen-Ich ist weniger bevormundend.

Effektive und effiziente Kommunikation erfolgt aus dem Erwachsenen-IchDie sachorientierte und sachliche Kommunikation im Erwachsenen-Ich ist somit ein Garant für effektive und effiziente Kommunikation. Kommunikationsstörungen treten bei dieser Form seltener auf. Entstehende Konflikte sind auf inhaltlichen Dissens oder generelle Beziehungsstörungen zurückzuführen, nicht jedoch auf die im Einzelfall konkrete Art und Weise, wie gegenseitig kommuniziert wurde. Das typische Beispiel für Kommunikation im Erwachsenen-Ich ist der Austausch von Informationen, zum Beispiel die nüchterne Frage und Antwort nach der Uhrzeit. Beispiele für Aussagen aus dem Erwachsenen-Ich:

„Ich schlage Ihnen vor, das Treffen schon vorzuziehen. Sagen Sie mir bis 14 Uhr Bescheid, ob Ihnen das passt, ansonsten behalten wir alles wie besprochen.“

„Wenn ich dich richtig verstehe, geht es dir vor allem darum, eine weitere Aussprache zu erreichen. Ich persönlich würde in einer solchen Situation noch ein paar Tage warten, damit sich die Emotionen ein wenig abkühlen. Aber ich kann auch verstehen, dass du so schnell wie möglich eine Lösung anstrengen möchtest.“

Perspektiven einer Nachricht

Im Kapitel zum Thema Rhetorik haben Sie bereits die Dreiteilung von Kommunikationsprozessen in Sender, Empfänger und Sache kennen gelernt. Dieses Konzept und die folgenden „Perspektiven einer Nachricht“ ermöglichen Ihnen Orientierung beim Analysieren und Lösen von Kommunikationsstörungen.

Die vier Perspektiven einer Nachricht sind dabei die Sache, die Beziehung, die Selbstoffenbarung und der Appell.

Sache

Welche Sachaussage enthält eine Nachricht?

Die Sachebene beinhaltet den rein informativen Teil einer Nachricht. Jede Aussage spiegelt eine Feststellung oder einen Fakt wieder, der sachlich-nüchtern ohne Berücksichtigung von Tonfall, Mimik und Gestik oder unterschwellig mitklingenden Aussagen einzeln betrachtet werden kann.

Die isolierte Betrachtung der Sachebene kann jedoch schon irreführen, zum Beispiel, wenn die Sache nur als Vorwand oder Aufhänger genommen wird, jedoch eigentlich etwas ganz anderes kommuniziert werden soll. Scheinbar sachlich geführte Konversationen können dann ihrer Motivation nach beziehungsfokussiert sein, eine Selbstoffenbarung unterstützen oder appellativen Charakter haben.

Die Schwierigkeit liegt beim Interpretieren des Sachinhalts liegt darin herauszufinden, ob die auf der Sachebene zu identifizierende Information tatsächlich so gemeint war, wie sie beim Analysierenden oder beim Gesprächspartner ankommt.

Beziehung

Was sagt die Nachricht über Ihre Beziehung zum Gesprächspartner aus?

In der Art und Weise, wie Sie sprechen, in Ihrer gesamten Gesprächshaltung spiegelt sich fast immer auch eine bestimmte Haltung ihrem Gesprächspartner gegenüber wieder. Dies ist die Beziehungsseite einer Nachricht.

Wann Sie etwas sagen, wie Sie etwas sagen oder das Sie das Gesagte überhaupt aussprechend, lässt in fast allen Fällen einen Rückschluss auf Ihre Beziehung zu Ihrem Gesprächspartner zu. Hier zeigen sich Machtverhältnisse, Persönlichkeitsmerkmale und Charakterzüge wie Schüchternheit, Selbstbewusstsein, aber auch freundliche, feindliche, neutrale oder kühle Grundeinstellungen dem Gesprächspartner gegenüber.

Selbstoffenbarung

Was sagt die Nachricht über Sie selbst und Ihre aktuellen Gefühle aus?

Mit fast jeder Aussage geben Sie neben der reinen Sachinformationen und unterschwelligen Botschaften über die gegenseitige Beziehung auch etwas über sich selbst preis. Ihre Stimmlage und Intonation, ob Sie leise oder laut sprechen und ob und wie Sie etwas betonen, spiegelt etwas über Sie selbst wider.

Auf der Selbstoffenbarungsebene senden Sie mit einer Nachricht, ob Sie erfreut, verärgert, erregt, begeistert, überzeugt, zweifelnd oder eher emotionslos sind. Eine sachliche Feststellung an sich genügt in zwischenmenschlicher Interaktion in den wenigsten Fällen – meist benötigt Ihr Gegenüber die weiteren Informationen, die Sie mit Ihrer Botschaft senden, um diese zu interpretieren und adäquat zu reagieren.

Was Sie also inhaltlich tatsächlich sagen, ist immer nur ein Teil der Botschaft, die Sie senden. Die nonverbalen Signale und Informationen auf den vier Ebenen der Nachricht erst machen effektive Interaktion und Gruppenzusammenarbeit möglich.

Appell

Was wollen Sie mit Ihrer Aussage beim Gegenüber erreichen?

Die vierte Seite einer Nachricht, Mitteilung oder Aussage besteht aus einer Aufforderung. Menschen sind allgemein anreizgesteuert und zielorientiert, das heißt hinter jeder Handlung und Aussage steckt ein offensichtlicher oder unbewusster Grund. In den meisten Fällen wollen Sie also etwas erreichen, wenn Sie sich zu Wort melden.

Die Motivation hinter einer Aussage zu identifizieren macht es erforderlich, die Appellseite einer Nachricht zu betrachten. Was wollen Sie, oder was will Ihr Gegenüber mit seiner Mitteilung erreichen? Enthält oder ist die Aussage eine direkte Aufforderung, etwas zu tun? – Das wird nur zu einem begrenzten Teil der Fall sein. Aber auch in jedem Überzeugungsgespräch, jeder Verhandlung und jeder Erzählung liegt ein Appell. Sie sollen etwas verstehen, glauben, erfahren.

Ein wesentliches Merkmal von Kommunikationskompetenz liegt in der Fähigkeit, nicht nur nach dem Was einer Nachricht zu suchen, also der reinen Sachinformation, sondern auch nach dem Warum einer Nachricht zu fragen, zum Beispiel dem enthaltenen Appell. Gerade die Fälle, in denen Sie auf die Frage „Warum erzählt er mir das?“ keine spontane Antwort finden, sind für ein reibungsloses zwischenmenschliches Miteinander besonders wichtig. Denn wie weiter unten im Abschnitt zu den Gesprächsstörern dargestellt ist häufig nicht die Sachinformation einer Aussage das Problem bei Konflikten, sondern die Motivation hinter dieser Botschaft.

Widerstand beim Gesprächspartner

Kommunikationsstörungen sind häufig auf so genannte Gesprächsstörer zurückzuführen. Diese Gesprächsstörer provozieren Widerstand im Gesprächspartner, die so genannten Reaktanz. Christian-Rainer Weisbach stellt in seinem Buch „Professionelle Gesprächsführung“ dazu grundlegend vier, im weiteren Sinne fünf Arten der Reaktanz und deren Auslöser vor.

Typische Widerstandsarten sind dabei:

  1. Trotz
  2. Zuwendung zur verwehrten Alternative
  3. Indirekte Freiheitswiederherstellung
  4. Offene Aggression
  5. Reaktanzkumulation (Nachtragen)

1. Trotz

Trotz als Verhalten der HilflosigkeitTrotz ist das typische Verhalten von hilflosen Menschen, gegen etwas zu opponieren, das sie gegen ihren Willen ertragen müssen. Es ist das typische Verhalten von Kindern, die etwas gesagt und angewiesen bekommen, dass ihrem Willen oder ihrer Meinung widerspricht, in der gegebenen Situation jedoch für sie trotzdem weitgehend verbindlich ist.

Trotz ist eine Widerstandsreaktion, seinen Unmut über etwas verbal oder nonverbal zu äußern. Die ungewünschte Sache muss und wird im Regelfall jedoch trotzdem akzeptiert bzw. durchgeführt.

Widerstand trotz besseren WissensTrotz manifestiert sich im bewussten Überschreiten von Grenzen, zum Beispiel Verhaltensvorschriften, und im bewussten Beharren auf einem Standpunkt. Dieses Beharren erfolgt sogar dann, wenn bereits objektiv klar ist, dass ein Standpunkt unhaltbar, falsch oder anderweitig inakzeptabel ist.

Trotzverhalten ist für Gruppeninteraktion und die Entwicklung einer funktionierenden Gruppe deshalb gefährlich, weil es erstens in vielen Fällen unberechenbar und zweitens in den meisten Fällen unkonstruktiv ist. Trotzverhalten verhindert und bremst Konfliktlösungen und kann effizienzhemmend wirken.

Trotz als Selbstbestätigung in machtlosen SituationenTrotz ist die typische Widerstandsreaktion auf die Einschränkung persönlicher Freiheiten. Entsprechendes Verhalten ist darin motiviert, sich selbst zu bestätigen und anderen zu zeigen, dass man nicht alles mit sich machen lässt. Wenn Sie also „trotz“ eines Verbots in eine Straße fahren, die auferlegte Mülltrennung durch bewusstes Falschplatzieren von Abfällen sabotieren oder unerwünscht auferlegte Aufgaben bewusst warten lassen, handeln Sie trotzig. Auch wenn es Ihnen praktisch in der Regel wenig bringt, zeigen Sie so klar, dass Sie nicht alles mit sich machen lassen, demonstrieren einen Teil (der Ihnen noch verbliebenen Macht). Das zugrunde liegende Motto lautet in vielen Fällen „jetzt erst recht!“, „die können mich mal“ oder „dem werde ich es zeigen“.

2. Zuwendung zur verwehrten Alternative

Reaktion auf die Einschränkung der WahlfreiheitDie Zuwendung zur verwehrten Alternative ist ein typisches Verhaltensmuster, wenn Sie bei der Auswahl zwischen verschiedenen Optionen zu einer Option gedrängt werden sollen. Auch hier spielt die Tatsache mit, dass Sie sich in Ihrer Wahlfreiheit eingeschränkt und manipuliert fühlen, wenn man Ihnen etwas aktiv, beharrlich und vehement „nahe legt“.

Verhalten aus der Rolle des Kind-IchsTypisches Widerstandsverhalten zeichnet sich in dieser Situation dadurch aus, dass vom sonst rational prüfenden und abwägenden Erwachsenen-Ich in das trotzige Kind-Ich umgeschaltet wird. Dieses empfindet den gegebenen Rat als Bevormundung und lehnt die empfohlene Option daher tendenziell ab. Die vorhandenen Wahlmöglichkeiten werden nicht mehr objektiv bewertet, insbesondere nicht die empfohlene.

Die verwehrte Alternative, die abgeratene Option gewinnen an AttraktivitätWährend die Alternative, zu der Sie gedrängt werden sollen, im typischen Reaktanzverhalten an Attraktivität verliert, wirken die anderen Optionen plötzlich besonders interessant. Die Ausprägung dieses Verhaltens lässt sich steigern, indem die anderen Optionen im Laufe des Gesprächs sogar verwehrt werden, d.h. „nicht empfehlenswert“ oder „nicht mehr verfügbar“ sind.

Reaktanz gegen BevormundungDie Abwendung von der empfohlenen Lösung und die Hinwendung zur verwehrten Alternative sind das typische Verhaltensmuster, um seinem Gegenüber die eigene Individualität und das Bestehen auf die eigene Wahl(-freiheit) zu demonstrieren. Das Motto lautet: „Das müssen Sie schon mir überlassen“ oder „Ich entscheide (selbst), und lasse mir nichts in den Mund legen“.

3. Indirekte Freiheitswiederherstellung

Heimliche Genugtuung, es hinter dem Rücken doch anders zu machenBei der indirekten Freiheitswiederherstellung wird einer Weisung, Maßregelung oder einem „gut gemeinten Rat“ Folge geleistet, jedoch heimlich das genaue Gegenteil gemacht. Die Art des Widerstands zielt auf die persönliche Genugtuung, sich nichts vorschreiben zu lassen, ohne jedoch den offenen Konflikt anzutreten.

Obwohl Sie einer Weisung oder Empfehlung formal gefolgt sind, führt Ihr Handeln zu gleichem oder ähnlichem Ergebnis, als wenn Sie die Weisung negiert hätten. Beispiel:

Sie liegen mit einem Kollegen im Konflikt über die Raumtemperatur und dieser fordert Sie auf, doch nicht ständig die Heizkörper aufzudrehen, da ihm die Luft im Büro zu warm ist. Sie lassen die Heizung in Ruhe, schließen jedoch heimlich bei jeder Möglichkeit die Fenster, damit es nicht zu kalt wird.

Das Ergebnis solchen Verhaltens ist objektiv meist nachteiliger, als einer Weisung nicht nachzukommen. Im Beispiel bleibt die Raumtemperatur weiterhin halbwegs warm, jedoch sinkt der Anteil frischer Luft.

Bewusste Fehlangaben in fragwürdigen FormularpflichtfeldernEbenso anzutreffen ist die indirekte Freiheitswiederherstellung bei Fragebögen mit Pflichtfeldern, zum Beispiel bei der Registrierung für Dienste im Internet. Wer sich mit Angaben zu bestimmten Lebensbereichen konfrontiert sieht, die er nicht machen will, aufgrund der Pflichtfeld-Deklaration jedoch tätigen muss, um die Registrierung abzuschließen, füllt diese in der Regel nicht wahrheitsgemäß aus. Die Deklaration von Feldern in einem Onlineformular als Pflichtfeld erleben wir wieder als Einschränkung unserer Wahlfreiheit – und reagieren entsprechend.

Wir folgen als den Sachzwängen, der andere hat jedoch durch seine Forderung nichts gewonnen. Diese Erkenntnis wird als ausreichende Genugtuung empfunden, ohne dass der Konflikt offen ausgetragen werden muss.

4. Offene Aggression

Der Widerstand wird als offener Konflikt ausgetragenAnders sieht es bei der offenen Aggression als vierte Form von Reaktanzverhalten aus. Hier wird Widerstand in klarer Form artikuliert und gegen eine Beeinflussung, Manipulation und allgemein Einschränkung der individuellen Freiheit offensiv opponiert.

Dieser Widerstand wird in den meisten Fällen verbaler Art sein und sich zum Beispiel darin manifestieren, den anderen durch Ironie und Sarkasmus nicht „für voll zu nehmen“. Mangelhafter Respekt, Irreführen, Vorführen und „Auflaufen lassen“ vor anderen, aber auch das Absprechen von Kompetenz und Berechtigung sind typische Ausprägungen dieser Reaktanzart.

„Herr Moritz, machen Sie sich doch nicht lächerlich. Ich bin nicht gewillt, jetzt jeden Tag die Zahl der getrunkenen Kaffeetassen zu notieren.“

„Herr Rimbach, ich glaube ich weiß selbst, wie ich die entsprechende Rechtsgrundlage ermittle – schließlich habe ich im Gegensatz zu Ihnen studiert und kann mit Büchern umgehen.“

Offene Aggression hat in der Betrachtung von Kommunikationsstörungen den Vorteil, dass eine Störung direkt in einen offensichtlichen Konflikt transformiert wird, der mit den Mitteln des Konfliktmanagements aktiv bekämpft werden kann.

5. Reaktanzkumulation und „Nachtragen“

Widerstand und Konflikte unterdrücken, „bis das Fass überläuft“Anders sieht es bei der fünften Reaktanzform aus: Im Gegensatz zur offenen Aggression wird hier Widerstand nicht aktiv und mit nahem Zeitzusammenhang zur Verursachung geleistet, sondern gesammelt und nachgetragen. Formal und effektiv wird einer Weisung, einem Rat, einer Beeinflussung o.ä. Folge geleistet – der Gesprächspartner erreicht objektiv sein Sachziel.

Gefährlich ist diese Form unterdrückten beziehungsweise aufgeschobenen Widerstands, weil der Zeitpunkt des Ausbruchs angestauter Widerstände und Konflikte unberechenbar ist. Zudem fällt eine Reaktion entsprechend intensiver aus, wenn das Fass in einem Moment zum Überlaufen gebracht wurde. In diesem Fall entladen sich alle aufgestauten Emotionen zum Beispiel in einem heftigen Wutausbruch oder handfesten Streit (vgl. auch: Regeln für faires Streiten).

Scheinbar fehlender Zusammenhang zwischen Reiz und ReaktionVerschärfend kommt dann dazu, dass Ihr Gegenüber häufig gar keinen Zusammenhang zwischen einem Reiz und Ihrer Reaktion sieht und auch nicht sehen kann. Das Ausbrechen kumulierter Widerstände zu einem Zeitpunkt und das Ausmaß der Reaktion sind für das Gegenüber meist nicht nachvollziehbar. Eine scheinbar völlig überzogene Reaktion liefert in dieser Situation neues Konfliktpotential und verschlimmert die Situation weiter. Wer nicht erkennt, dass nicht ein konkretes aktuelles Detail Auslöser einer heftigen Widerstandsreaktion ist, neigt ganz natürlich zu einer entsprechenden, „gepfefferten“ Reaktion.

„André, ich weiß gar nicht, was du dich so furchtbar aufregst. Es stehen gerade einmal zwei schmutzige Teller in der Küche. Das ist doch kein Grund zum Schreien…“

„Herr Rimbach, Sie tun ja gerade so, als ob ich Sie den ganzen Tag bevormunden und herumdiktieren würde. Ich habe Sie lediglich gebeten, diesen Vertrag bis heute Abend fertig zu stellen.

Eine Kleinigkeit löst eine scheinbar unangemessene Reaktion aus. Ein scheinbarer Angriff auf diese Kleinigkeit im Sinne der Sach-Ebene ist tatsächlich aber ein Angriff auf die Person im Sinne der Beziehungsebene. Wenn jemand nachträglich ist und zu einem Zeitpunkt seine angestauten Widerstände und Konflikte „entlädt“, geht es nicht um die jeweilige Sache im aktuellen Kontext, sondern vielmehr um eine „Abrechnung“ mit der jeweiligen Person. – Auch hier hilft das Konzept der Perspektiven einer Nachricht mit ihrem Hinweis auf die Beziehungsebene einer Botschaft.

Konflikte zu unterdrücken führt früher oder später zu noch größeren ProblemenNachtragen ist die häufigste Konfliktsituation und Kommunikationsstörung in Familien und vielen Unternehmen: Weil Probleme nicht rechtzeitig angesprochen, diskutiert und angegangen werden, sondern statt dessen (…)

Beim vorliegenden Text über Störungen der Kommunikation handelt es sich um eine Leseprobe aus dem Buch „Soft Skills für Young Professionals“, Kapitel 4. „Gruppenentwicklung“, Unterkapitel 4.3. „Kommunikation in und vor Gruppen“, Unterkapitel 4.3.5. „Kommunikationsstörungen“.  Hier zum Buch bei Amazon.

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