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Reaktanz (als Konzept in der Psychologie): Widerstand verstehen und abbauen

Reaktanz als trotziger Widerstand gegen Freiheitseinschränkung, Verbote und Manipulationsversuche (© pathdoc / Fotolia)

Reaktanztheorie: Was ist Reaktanz und wie lässt sie sich reduzieren?

  1. Wir wehren uns, wenn man uns etwas wegnehmen will, was wir sicher glaubten.
  2. Wir spüren innerlichen Widerstand, wenn man uns etwas verbietet, das wir wollen, ggf. vorher schon durften und/oder als selbstverständlich betrachten.
  3. Wir wollen gerade die Option, die uns verwehrt wird.
  4. Und wir wollen aus Prinzip und Trotz genau das nicht, wozu man uns eben manipulativ zu überreden versucht.

Trotz, mentale Abwehrhaltung, Widerstand gegen Beeinflussungsversuche – In der Psychologie wird ein bestimmter Effekt als REAKTANZ bezeichnet, der die Entscheidungsfindung massiv beeinflusst. Diesen und die Reaktanztheorie nach Jack Brehm wollen wir hier einmal genauer beleuchten.

Widerstand gegen die Einschränkung von Wahlfreiheit / Entscheidungsfreiheit

Steht eine Person vor der Wahl zwischen verschiedenen Alternativen, so wird jeder Alternative eine bestimmte Gewichtung zugemessen. Bei einer ausgeprägten Reaktanz werden jene Alternativen deutlich höher bewertet, die bereits weggefallen sind oder auf absehbare Zeit wegfallen könnten. Jene Alternativen werden lediglich deshalb als wichtig oder notwendig betrachtet, weil den Personen die Wahlfreiheit stark eingeschränkt wurde. Insbesondere stellt sich der Effekt der Reaktanz besonders stark ein, wenn es um Alternativen geht, die strengstens verboten oder sogar zensiert wurden.

„innere[n] Widerstand gegen sämtliche Einschränkungen der individuellen Entscheidungs- und Handlungsfreiheit“

Hierzu haben sich unterschiedliche wissenschaftliche Definitionen gebildet. 2003 bezeichnete beispielsweise Eiermann die Reaktanz als „innere[n] Widerstand gegen sämtliche Einschränkungen der individuellen Entscheidungs- und Handlungsfreiheit“. Laut ihm entsteht ein extrem motivierender Spannungszustand, der sich ausschließlich darauf konzentriert, die bedrohte oder gar verlorene Freiheit zurückzugewinnen.

„abweisende Erregung, die direkt aus dem Gefühl des bedrängten Entscheidungsfreiraums resultiert“

2006 definierte Bänsch die Reaktanz als „abweisende Erregung, die direkt aus dem Gefühl des bedrängten Entscheidungsfreiraums resultiert“. Diese abweisende Erregung kann laut ihm einen Bumerangeffekt erzeugen, der den Betroffenen zu einem exakt gegenteiligen Verhalten veranlasst. Dadurch versucht der Betroffene, seine Selbstständigkeit und Unabhängigkeit offen zu demonstrieren.

„… wenn eine dieser Freiheiten bedroht ist oder zur Unmöglichkeit erklärt wird“

Drei Jahre später definierte Rohac die Reaktanz noch allgemeiner. Laut ihm nimmt jedes Individuum an, dass es die Freiheit besitzt, sämtliche Tätigkeiten auszuüben, die es wünscht. Ein Widerstandsverhalten tritt immer dann auf, wenn „eine dieser Freiheiten bedroht ist oder zur Unmöglichkeit erklärt wird“.

„Motivation zur Wiederherstellung eines eingeschränkten oder bereits eliminierten Freiheitsspielraums“

Die jüngste Definition der Reaktanz stammt jedoch von den Psychologen Raab und Unger. Diese bezeichnen Reaktanz als „Motivation zur Wiederherstellung eines eingeschränkten oder bereits eliminierten Freiheitsspielraums“.

Im u.g. Youtube-Video wird es auf einer Folie ganz gut zusammengefasst:

„Abwehrreaktion als Widerstand gegen Einschränkungen eigener Freiheitsspielräume, meist hervorgerufen durch Nötigung, Bedrohung oder eine als aggressiv empfundene Gesprächsführung – ähnelt der Trotzreaktion.“

Was sind Beispiele für reaktantes Verhalten?

Reaktantes Verhalten tritt in geringer Ausprägung häufig auf. Beispielsweise ist sie dafür verantwortlich, dass ein wesentlich höherer Bedarf von knappen Waren besteht. Je knapper eine bestimmte Ware wird, umso eingeschränkter ist man in ihrer Beschaffung. Wird eine bestimmte Ware bei mehreren Händlern nicht angeboten, so steigt die Nachfrage nach ihr und eines der wenigen Geschäfte, das diese Ware anbietet, wird eine erhebliche Umsatzsteigerung bemerken. Das Gleiche gilt für eine zeitliche Limitierung. Ist ein bestimmtes Produkt beispielsweise ausschließlich in den Wintermonaten erhältlich, so steigt die Nachfrage in den Sommermonaten rasant an, da man dieses Produkt zu dieser Zeit nicht erwerben kann. Es kommt also zu einem überdurchschnittlich hohen Verkauf in den ersten Tagen und Wochen der Verfügbarkeit. Ein klassisches Beispiel aus der Werbung bzw. dem Marketing: Die MON CHÉRI „Sommerpause“, während der die Pralinen mit der Piemont-Kirsche für eine gewisse Zeit nicht erhältlich sind. Ist die Pause vorbei, wird das in der Werbung so richtig inszeniert und man macht den Konsumenten wieder so richtig Geschmack auf das Produkt – eine Kombination von (eventuell wirklich vorhandenen) Sachzwängen und einer guten Portion Werbepsychologie :-).

Reaktanz bei Kindern: Wie in der Kindererziehung umgehen mit Trotz und Reaktanzverhalten? (© photophonie / Fotolia)

Reaktanz bei Kindern: Wie in der Kindererziehung umgehen mit Trotz und Reaktanzverhalten? (© photophonie / Fotolia)

Reaktanz bei Kindern / in der Kindererziehung bzw. PädagogikEine weitere Form von Widerstand und Trotz-Verhalten in unserem Sinne kann man in der Kindererziehung beobachten. Viele Kinder fragen, ob sie eine bestimmte Speise oder ein Getränk zu sich nehmen können. Dabei besteht kein tatsächliches Interesse am Konsum der Speise oder des Getränks, sondern lediglich Neugierde oder Langeweile. Verbietet ein Elternteil dem Kind aber den Konsum von Cola, Kaffee oder Alkohol, so kommt es zu einer reaktanten Reaktion des Kindes. Es will anschließend die Speise oder das Getränk umso mehr ausprobieren und empfindet das Verbot als äußerst schmerzlich, obwohl es vorher kein tatsächliches Interesse am Konsum gehabt hat.

Reaktanz im Verkauf / VertriebIm direkten Verkaufsgespräch kann es sogar zu einem doppelten reaktanten Verhalten kommen. So entsteht die Überbewertung des Produkts lediglich dann, wenn der Kunde die künstliche Verknappung nicht bemerkt oder vollständig akzeptiert. Die künstliche Verknappung einer Schokolade in den Sommermonaten ist zwar eine Einschränkung der Entscheidungsfreiheit, kann jedoch aufgrund der Temperatur nachempfunden und akzeptiert werden. Hierbei kommt es durch Reaktanz zu einem verkaufsfördernden Effekt. Erkennt der Kunde jedoch einen durchschaubaren Beeinflussungsversuch des Verkäufers wie beispielsweise die Aussage, dass ein bestimmtes Produkt sofort gekauft werden muss, da es knapp ist und bereits in einer Stunde vergriffen sein kann, kommt es zu einer umgekehrten Reaktanz (eine solche Situation kann auch die ungewünschte Folge sein, wenn man sich das Konzept der umgekehrten Psychologie methodisch zunutze machen will). Die ungeschickten Bemühungen des Verkäufers weisen darauf hin, dass er das Produkt sehr dringend verkaufen möchte und es daher nicht knapp sein kann. Der Beeinflussungsversuch wird als Einschränkung der persönlichen Wahlfreiheit wahrgenommen und führt deshalb zu einem Widerstand gegen das Produkt. Selbst wenn der Kunde es zu diesem Zeitpunkt kaufen wollte, so wird er anschließend den Kauf ablehnen (vgl. Verkäufertraining).

Reaktanz am Arbeitsplatz / im Verkauf: Der Versuch von Manipulation führt oft zu erhöhtem Widerstand (Bumerangeffekt) - (© Antonioguillem / Fotolia)

Reaktanz am Arbeitsplatz / im Verkauf: Der Versuch von Manipulation führt oft zu erhöhtem Widerstand (Bumerangeffekt) – (© Antonioguillem / Fotolia)

Reaktanztheorie: Wie tritt psychologischer Widerstand auf?

Entsprechend den Forschungen von Wicklund von 1974 tritt eine Reaktanz insbesondere dann auf, wenn äußere Faktoren versuchen, auf soziale Einstellungen oder Ansichten Einfluss zu nehmen. Jegliche Einflussversuche von außen, die eine Kontrolle des Betroffenen beabsichtigen, lösen dieses Verhalten aus.

Weiterhin kann Reaktanz dann beobachtet werden, wenn durch sozialen Druck von außen Barrieren errichtet werden, die eine bestimmte Handlung untersagen. Aber auch der bloße Zwang zur Wahl zwischen unterschiedlichen Alternativen kann dieses Verhalten auslösen. So könnte dieser Zwang einerseits dazu führen, dass die Wahl zwischen den Alternativen vollständig abgelehnt wird oder dass der Betroffene eine Alternative wählt, die nicht angeboten wird.

Von welchen Faktoren hängt die Stärke der Reaktanz ab?

Die Stärke der Reaktanz hängt insbesondere vom Umfang des subjektiven Verlusts der Freiheit ab. Grundsätzlich kann gesagt werden, dass die Reaktanz umso stärker ist, je mehr Alternativen bedroht oder eliminiert werden. Weiterhin hat auch die Stärke der Freiheitseinengung einen großen Einfluss auf die Stärke des Widerstandes. Mit zunehmender Bedrohung der Freiheit wird die Reaktanz immer stärker. Sie fällt beispielsweise deutlich niedriger aus, wenn eine bestimmte Alternative nur unter ganz speziellen Umständen bedroht ist. Sollte die Wahlalternative jedoch für immer verloren sein, tritt eine besonders starke Reaktanz auf.

Letztlich hat die individuelle Bedeutung der eingeschränkten Freiheit eine große Wirkung auf die Stärke der Reaktanz. Ist ein bestimmtes Bedürfnis beispielsweise äußerst hoch, so kommt es zu einem erhöhten Widerstand. Das gleiche gilt für den instrumentellen Wert der bedrohten Alternative, um ein für den Betroffenen äußerst wichtiges Ziel zu erreichen. Diese Reaktanz ist umso größer, je sicherer der Betroffene war, das bestimmte Ziel erreichen zu können.

Effekte der Reaktanz: Welche Auswirkungen hat trotziger Widerstand?

Von dem auf dem Gebiet der Reaktanztheorie führenden Psychologen Jack Brehm wurden zwei unterschiedliche Auswirkungen der Reaktanz festgestellt. So unterteilt man jegliche Reaktionen auf einengende oder manipulierende Handlungen in

  • subjektive Effekte und
  • Verhaltenseffekte.

Als subjektive Effekte werden alle Reaktionen bezeichnet, die sich nicht direkt im zu beobachtenden Verhalten äußern. Entsprechend können diese Reaktionen nicht direkt durch die Umwelt kontrolliert werden. Meist fallen hierunter Frust, Aggressionen und Trauer (siehe Frustrationstoleranz). In der Regel führt es zu einer signifikanten Verringerung der Sympathie zu der Person oder Organisation, die das Verbot oder die Einschränkung ausgesprochen hat.

Als Verhaltenseffekte werden alle Reaktionen bezeichnet, die sich direkt im Verhalten der Betroffenen beobachten lassen. Diese sind jedoch häufig mit antisozialen Reaktionen verbunden und werden nicht selten negativ sanktioniert. Aus diesem Grund treten häufig lediglich subjektive Effekte auf und Verhaltenseffekte werden unterdrückt.

Reaktanz abbauen - Widerstände lassen sich auf verschiedenen Wegen abbauen, aber Vorsicht vor zu viel Manipulation (© iQoncept / Fotolia)

Reaktanz abbauen – Widerstände lassen sich auf verschiedenen Wegen abbauen, aber Vorsicht vor zu viel Manipulation (© iQoncept / Fotolia)

Wie kann man Reaktanz reduzieren oder gänzlich abbauen?

Die Reaktanz lässt sich durch Aktionen dreier verschiedener Hauptklassen reduzieren oder gänzlich abbauen.

  1. Der einfachste und gleichermaßen effektivste Weg, um ein reaktantes Verhalten vollständig zu reduzieren, besteht darin, die Freiheit vollständig wiederherzustellen. Diese Möglichkeit ist nicht in jedem Fall gegeben. Obwohl diese Aktion zu einer vollständigen Eliminierung der Reaktanz führt, ist sie aufgrund von negativen Sanktionen oder einer irreversiblen Eliminierung der Freiheit nicht möglich.
  2. Aus diesem Grund geht man häufig zur zweiten Möglichkeit der Reduktion über. Die Freiheit kann durch ein Ersatzprodukt oder eine Verhaltensweise indirekt wiederhergestellt werden, die der verlorenen Alternative möglichst ähnlich ist. So kann beispielsweise die Reaktanz auf ein Rauchverbot deutlich reduziert werden, indem das Verwenden von elektronischen Zigaretten gestattet wird.
  3. Letztlich kann die Reaktanz ebenfalls reduziert werden, indem sich die Attraktivität der verlorenen Alternative signifikant verändert. Wird die verlorene Freiheit in ihrer subjektiv wahrgenommenen Attraktivität stark abgewertet, so reduziert sich dadurch die erfahrene Reaktanz. Diese Attraktivitätsveränderung sollte jedoch äußerst vorsichtig vollzogen werden, da ein Manipulationsversuch eines Betroffenen häufig zu einem gegenteiligen Ergebnis führt. Wenn jemand versucht, einem Betroffenen die subjektiv wahrgenommene Attraktivität einer bestimmten Verhaltensweise auszureden, so entsteht der Eindruck, dass es sich dabei um eine sehr attraktive Verhaltensweise handeln muss, die der Manipulator allein für sich selbst behalten möchte.

YOUTUBE: Psychologie: Manipulation entlarvt – Mit der Reaktanztheorie Verhalten vorhersagen
(www.youtube.com/watch?v=wOXQ1fpLnxg)

Wie kann einem reaktanten Verhalten vorgebeugt werden?

Im Rahmen der Mediation kommt es immer wieder zur Einschränkung verschiedener Verhaltensweisen und dadurch zur Entstehung eines reaktanten Verhaltens. Dieses verhindert jedoch eine erfolgreiche Lösung des Konflikts. Deshalb müssen vorbeugende Maßnahmen getroffen werden, um die Entstehung der Reaktanz zu verhindern. Die besten Ergebnisse konnten erzielt werden, indem durch zahlreiche Gespräche ein Verständnis für die Legitimität der Einschränkung oder des Verbots geschaffen wurden. Erst, wenn der Betroffene die Verhaltensweise ebenfalls als negativ betrachtet, kann ein Reaktanz-Verhalten ausgeschlossen werden.

Weiterhin kommt es vor allem bei Umstrukturierungen in Unternehmen häufig zu starker Reaktanz von ganzen Abteilungen. Diese entsteht, wenn die Mitarbeiter bei der Einführung neuer Techniken und Verhaltensweisen nicht ausreichend berücksichtigt wurden. Möchte man ein reaktantes Verhalten der Beschäftigten vermeiden, sollten vor der Umstrukturierung zahlreiche Befragungen und aufklärende Gespräche stattfinden. Nur durch eine umfassende Beteiligung der betroffenen Abteilungen und zahlreiche Schulungen kann die Akzeptanz neuartiger Techniken verbessert werden. Das Wichtigste ist jedoch die Möglichkeit der Partizipation. Wenn die Mitarbeiter umfassend über die Chancen und Möglichkeiten einer neuen Technik informiert wurden, sollten Sie über Ihre Meinung bezüglich der Einführung der Technik befragt werden. So können eventuelle Zweifel und Befürchtungen aus der Welt geschafft werden.

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