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Rosenthal-Effekt / Pygmalion-Effekt erklärt: Man wird, wie man gesehen wird…

Rosenthal-Effekt / Pygmalion-Effekt in der Schule (© contrastwerkstatt / Fotolia)

Der Rosenthal-Effekt (auch: Pygmalion Effekt) beschreibt ein Phänomen, das oft vereinfacht mit dem Etikett „selbsterfüllende Prophezeiungen“ erklärt wird. Das trifft es jedoch nur teilweise. Im Kern geht es um Arbeiten des deutsch-amerikanischen Psychologen und Psychologieprofessor Robert Rosenthal, der sich mit den Auswirkungen einer positiven Erwartungshaltung auf verschiedene Ausgangssituationen beschäftigte. Wichtig ist das Wissen um den Rosenthal-/Pygmalion-Muster im Kontext von Menschenkenntnis sowie Bewertung und Förderung von Menschen (sei es im Job zwischen Führungskraft und Mitarbeitern oder in der Schule zwischen Lehrer und Schülern). Rosenthal Effekt – was ist das?Denn was man glaubt (oder was einem glauben gemacht wird), wie jemand ist, beeinflusst unseren Umgang mit demjenigen. Und das beeinflusst wiederum das Verhalten und die Entwicklung desjenigen in die erwartete Richtung. Daher trifft es der Satz „Man wird, wie man gesehen wird“ als Erklärung deutlich besser.

Rosenthal-Effekt: Das berühmte Experiment in der Schule mit angeblich „besonders potentialträchtigen Schülern“

auch: „Rosenthal Jacobson Effekt“1965/1966 führte Rosenthal gemeinsam mit Lenore Jacobson ein Experiment durch und publizierten die Ergebnisse. Dabei handelte es sich um ein Feldexperiment, das an einer amerikanischen Grundschule durchgeführt wurde und heute fast immer zitiert wird, wenn es um Schulpsychologie (Psychologie in der Schule) geht. Die beiden Psychologen untersuchten die Lehrer-Schüler-Interaktion und ihre Auswirkungen, nachdem sie diese gezielt beeinflusst hatten.

Rosenthal und Jacobson führten mit den Schülern einen Test durch, der angeblich die 20 Prozent der Schüler ermitteln würde, die im kommenden Schuljahr aufgrund eines Entwicklungsschubs eine Leistungssteigerung zeigen würden. Tatsächlich handelte es sich um einen Intelligenztest (siehe Intelligenztests) und die Auswahl der Schüler erfolgte per Losverfahren. Außer der Weitergabe der Namen der „Testsieger“ an die Lehrer gab es keine Intervention seitens der Forscher.

Als der Intelligenztest nach acht Monaten wiederholt wurde, zeigten die zufällig ausgewählten 20 Prozent der Schüler eine besonders ausgeprägte Leistungssteigerung. In dieser Gruppe wiederum zeigten als attraktiv empfundene Kinder den höchsten Anstieg. Dieser Trend bestätigte sich auch vier Monate später.

Der Rosenthal-Effekt in der SchuleRosenthal und Jacobson zogen aus diesem Ergebnis den Schluss, dass die Lehrer die Schüler durch ihre positive Erwartung unbewusst anders bewertet und behandelt hatten. Etwa indem sie geduldiger mit ihnen umgingen und Lernfortschritte besonders hervorhoben. Dafür spricht auch, dass diese Schüler von den Lehrern als sehr angenehm im Charakter beschrieben wurden.

Rosenthal-Muster am Beispiel des Vorläufer-Experiments „Ratten im Labyrinth trainieren“

Zu dem berühmt gewordenen Schulpsychologie-Experiment gab es bereits ein Vorläufer-Experiment: Schon im Jahr 1963 veröffentlichte Rosenthal gemeinsam mit Kermit L. Fode eine Studie über die Beeinflussung experimenteller Ergebnisse durch die Erwartungshaltung des Versuchsleiters. In dem Laborexperiment wurde untersucht, inwieweit sich positive Erwartungen des Versuchsleiters in Bezug auf die Leistung der Versuchsperson im tatsächlichen Ergebnis niederschlagen.

Bei dem Experiment arbeiteten Rosenthal und Fode mit zwölf Studenten zusammen, denen sie jeweils fünf Albinoratten zum Trainieren in einem Irrgarten übergaben. Der einen Hälfte der Studenten erklärten sie, dass deren Ratten ein besonderes Talent zum Durchlaufen eines Irrgartens hätten, während sie den anderen Studenten die besondere Dummheit der Tiere attestierten. Tatsächlich erzielten die „intelligenteren“ Ratten bessere Leistungen.

Natürlich gab es zwischen den Ratten keine angezüchteten Intelligenzunterschiede. Sie stammten alle vom gleichen Stamm ab. Rosenthal und Fode schlossen daraus, dass die positive Erwartungshaltung der Versuchsleiter sich als „selbsterfüllende Prophezeiung“ im Versuchsergebnis niederschlagen hatte.

YOUTUBE: Sozialpsychologie: Der Rosenthal Effekt (auch: Pygmalion Effekt): „Einer der mächtigsten und eindrucksvollsten psychologischen Effekte, die es gibt. Wenn ich denke, ein Schüler wird sich besonders gut entwickeln, bekommt dieser von mir auch eine besondere Behandlung (besondere Hilfestellungen, häufigeres Zunicken/Zulächeln). Das führt dazu, dass er immer mehr an sich und seine Fähigkeiten und Kompetenz glaubt. Er wird besser, wodurch ich in meiner Einschätzung bestärkt werde und ihn weiterhin (meist unbewusst) bevorzugt behandle. Dass dieser Effekt auch dann eintreten kann, wenn es sich bei dem Schüler „nur“ um einen Durchschnittsschüler handelt, konnten u.a. Robert Rosenthal und seine Kollegen in bemerkenswerten Studien zeigen…“ (youtube.com/watch?v=su-ZAslE1uY)

Ein Exkurs: Pygmalion und Galatea

Der Name Pygmalion-Effekt lehnt sich an die Erzählung in Ovids Metamorphosen an. Im Mittelpunkt der Geschichte steht der von Frauen enttäuschte Bildhauer Pygmalion, der eine Frauenstatue aus Elfenbein schafft und sich unsterblich in sie verliebt. Auf seine Bitte hin wird diese später Galatea genannte Frau von Venus zum Leben erweckt und der Künstler kann mit seiner nun beseelten Schöpfung zusammenleben.

Rosenthal-/Pygmalion-Effekt im beruflichen Alltag

Natürlich lässt sich das beschriebene Phänomen nicht nur in Schulen in der Lehrer-Schüler-Beziehung sowie direkt übertragbar im Kindergarten finden, sondern in beinahe allen Bereichen unseres Lebens – Beurteilungsfehler und Stereotype bestimmen schließlich unseren Alltag. Besonders interessant ist in diesem Zusammenhang natürlich der Arbeitsalltag. Wie ist es in diesem Umfeld mit dem Pygmalion Muster bestellt? Wie wirken sich die Erwartungen auf den Arbeitsalltag und die Karriere aus. Hier gibt es zwei verschiedene Protagonisten zu betrachten: den Arbeitnehmer und den Arbeitgeber.

… beim Arbeitnehmer

Bei Arbeitnehmern spielt die Einschätzung der eigenen Leistungsstärke eine wichtige Rolle bei der Außenwirkung. Jemand, der hofft, eine Aufgabe bewältigen zu können, wirkt weniger energetisch als jemand, der sich diesbezüglich sicher ist. Dieser wiederum verblasst hinter demjenigen, der davon ausgeht, dass er brillieren wird. Dies wäre für sich allein genommen nicht so schlimm, wenn denn schlussendlich nur die Leistung zählen würde. Was in der Regel nicht der Fall ist.

Der Rolle der Erwartungshaltung auf das tatsächliche ErgebnisAuch im Arbeitsalltag wird der Rosenthal-Effekt mit all seinen Nebeneffekten durch das Erwecken einer positiven Erwartungshaltung ausgelöst. Hier führt die positive Energie des Überzeugten dazu, dass der Chef ebenfalls an das Gelingen glaubt und sich mit dieser Motivation nach dem Fortschreiten der Arbeit erkundigt. Dadurch wiederum wird das Selbstbewusstsein weiter gestärkt und die Leistungsfähigkeit gesteigert. Ein positiver Kreislauf.

Bei positiven Erwartungen des Vorgesetzten steigt die Selbstwirksamkeitserwartung In einigen Fällen kann es auch zum sogenannten Galatea-Effekt kommen. Bei diesem wird durch die positive Erwartungshaltung des Vorgesetzten die Selbstwirksamkeitserwartung des Arbeitnehmers, also das Vertrauen in die eigene Handlungsfähigkeit, erhöht. Dadurch steigt im Allgemeinen auch das Leistungsvermögen.

Neben den positiven Auswirkungen auf das eigene Wohlbefinden hat der Pygmalion-Effekt üblicherweise auch Auswirkungen auf die Entwicklung der Karriere. Je positiver die Grundeinstellung ist, desto größer ist das Vertrauen des Chefs und desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, schnell befördert zu werden.

… beim Arbeitgeber

Bei Arbeitgebern kann der Pygmalion-Effekt verschiedene Auswirkungen haben, insbesondere im Kontext von Mitarbeiterbewertungen, Beobachtungsfehlern und Beurteilungsfehlern. Im Idealfall wird das Wissen über den Effekt bewusst genutzt bzw. berücksichtigt, um jeden Mitarbeiter optimal zu beurteilen und zu fördern. Dabei ist es wichtig, sich mit den einzelnen Menschen individuell und ohne Stereotype auseinanderzusetzen und möglichst rational an die Einschätzung heranzugehen, um Wahrnehmungsverzerrungen in der Einschätzung und „Menschenkenntnis“ des Beurteilenden möglichst zu minimieren.

Stereotype vermeiden / Beurteilungsfehler verhindernEine möglichst objektive Bewertung durch die Führungskraft ist vor allem bei den zurückhaltenden Mitarbeitern durchaus eine Herausforderung und erfordert eine gute Beobachtungsgabe. Hier kann es sinnvoll sein, sich gezielte Fragestellungen zu überlegen, anhand derer man eine Positivliste erstellt. Mögliche Fragen könnten lauten: „Was zeichnet seine/ihre Arbeitsweise aus“, „Welchen Stellenwert hat er/sie im Team?“, „Was ist seine/ihre besondere Stärke?“

„Ist mein Lieblingsmitarbeiter wirklich so gut?“Wichtig ist es natürlich auch, bereits als positiv bewertete Mitarbeiter zu hinterfragen. Stimmen Erwartung und Leistung tatsächlich überein? Berücksichtigt der Mitarbeiter seine tatsächliche Leistungsfähigkeit und ist diese dauerhaft realistisch abrufbar? Kann er sich noch steigern? Auch hier muss in jedem Fall eine Kontrolle des Istzustandes erfolgen, um den Mitarbeiter optimal zu fördern.

Mithilfe des Wissens um den Pygmalion- bzw. Rosenthal-Effekt lässt sich mit etwas Vorarbeit ein leistungsfähiges Team aufbauen und bestmöglich fördern, z.B. durch geschicktes Zureden und Bestätigen motivieren und jemand auch über bisherige Leistungsgrenzen hinaus wachsen zu lassen. Ziele, die den einzelnen sowohl fordern als auch geeignet sind, ihm ein positives Feedback zu verschaffen, spielen hier eine wichtige Rolle. Auf diese Weise erreicht er im besten Fall einen Flow und damit einen Zustand, in dem das Arbeiten selbst zum Antrieb wird.

Zusammenfassung

  • Die Begriffe „Rosenthal-Effekt“ und „Pygmalion-Effekt“ können mehr oder weniger synonym verwendet werden.
  • Es geht um das Phänomen, dass sich positive Erwartungen in Form einer „selbsterfüllenden Prophezeiung“ positiv auf ein bestimmtes Ergebnis auswirken.
  • Erklärt wird dies dadurch, dass der Handelnde sein Verhalten bewusst und/oder unbewusst so modifiziert, dass das erwartete Ergebnis gefördert wird.
  • Konkret nachgewiesen wurde der Effekt durch Robert Rosenthal und Lenore F. Jacobson experimentell bei Schüler-Lehrer-Beziehungen.
  • Den Lehrer wurde erfolgreich suggeriert, bestimmte Schüler hätten ein besonderes Potential, sich im folgenden Schuljahr überdurchschnittlich gut zu entwickeln. Die Auswahl dieser Schüler war vorgeblich durch besondere Tests ermittelt worden, tatsächlich aber rein zufällig erfolgt. Dennoch entwickelten sich die „ausgewählten“ Schüler im Folgejahr tatsächlich überdurchschnittlich.
  • Erklärt wird dies durch ein verändertes Betreuungsverhalten der Lehrer diesen Kindern gegenüber: zum Beispiel mehr Zuwendung, mehr Hilfen, mehr Zeit zum Antworten, mehr positive Bestätigung und Verstärkung, Förderung durch erhöhte Leistungsanforderungen und ähnlich.


Definition und kurze Erklärungen sowie Beschreibung der zugrunde liegenden Experimente in der Wikipedia

Pygmalion Effekt: kurze Definition in der Wikipedia | Screenshot de.wikipedia.org/wiki/Pygmalion-Effekt

Pygmalion Effekt: kurze Definition in der Wikipedia | Screenshot de.wikipedia.org/wiki/Pygmalion-Effekt

Rosenthal Effekt - Beschreibung / Definition - kurz erkärt in der Wikipedia (Screenshot de.wikipedia.org/wiki/Rosenthal-Effekt)

Rosenthal Effekt – Beschreibung / Definition – kurz erkärt in der Wikipedia (Screenshot de.wikipedia.org/wiki/Rosenthal-Effekt)


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