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Die Methode der „umgekehrten Psychologie“

Umgekehrte Psychologie ("reverse psychology") methodisch als Überzeugungsmittel nutzen (© adrian_ilie825 / Fotolia)

Umgekehrte Psychologie? – Ob man es nur eine geschickte Manipulation nennt oder die Kunst der Überzeugung: Mit Strategien der „umgekehrten Psychologie“ erreicht man sein Ziel häufig auf eine nicht ganz faire Weise. Das Gegenüber merkt oft nicht, wohin man es lenkt – und zwar, weil man ihm absichtsvoll suggeriert, es solle etwas NICHT tun, obwohl man möchte, dass der andere genau das tut. Das klingt einigermaßen paradox – und funktioniert dennoch oft. Oftmals nutzen Menschen jedes Alters diese Manipulationsstrategie unbewusst. Man kann sie aber auch bewusst – beispielsweise zum Nutzen von Patienten, eigenen oder einem anvertrauten Kindern – einsetzen. Sogar als Therapeut.

Umgekehrte Psychologie als Fachbegriff

In der Psychologie oder Pädagogik geht man eigentlich lieber den geradlinigen Weg. Man sagt jemandem, was er tun sollte/könnte, damit er es zumindest versucht. Es geht dabei um Überzeugungsarbeit und einen guten Rat, den der andere akzeptieren und annehmen kann.

Möchte man die sogenannte „umgekehrte Psychologie“ anwenden, müsste man es allerdings anders anfangen. Man würde seinem Gegenüber geradezu ausreden, etwas zu tun – in der Hoffnung, dass er es nun erst recht tut. Hier besteht natürlich das Risiko, dass das Gegenüber das eigentlich Gewünschte am Ende doch nicht tut – sodass das angestrebte Ergebnis doch nicht eintritt. Hilfreich ist es daher, wenn man sein Gegenüber und dessen gewohnheitsmäßige, oft eingefahrene Reaktionsweisen gut kennt. Nur dann kann man die Strategien der umgekehrten Psychologie anwenden und ein positives Ergebnis als einigermaßen wahrscheinlich ansehen.

Wendet man beispielsweise umgekehrte Psychologie in der Erziehung von Kindern an, kennt man seine Pappenheimer meistens recht gut. Sagt man seinem trotzigen Kind, es solle endlich aufräumen, wird es meistens alles mögliche tun – nur nicht aufräumen. Uneinsichtigkeit, Trotz, latente Wut und inneres Abwehrverhalten machen sich im Nachwuchs breit. Verdonnert man aber sein Kind dazu, die nächsten drei Tage in seinem unaufgeräumten Zimmer zu bleiben, statt ihm ständig hinterher zu räumen oder es mit Ermahnungen zuzupflastern, könnte das Kind irgendwann von alleine anfangen, aufzuräumen.

Reaktanz umschiffenDiese pädagogisch-psychologische Strategie basiert auf dem Phänomen der „Reaktanz“ (siehe Reaktanztheorie und wie man Reaktanz reduzieren kann). Damit ist gemeint, dass wir Menschen dazu neigen, negative Emotionen dagegen aufzubauen, dass jemand sie von etwas überzeugen möchte. Stattdessen tun wir oft das Gegenteil dessen, was erwünscht ist. Dies betrifft naturgemäß besonders häufig Kinder und Jugendliche. Das Phänomen der Reaktanz erschwert die elterliche Erziehung. Jeder Erziehungsberechtigte sucht daher verzweifelt nach Mitteln und Wegen, um solche trotzigen oder gewohnheitsmäßigen Gegenreaktionen zu umschiffen. Doch natürlich reagieren auch Erwachsene in dieser Weise.

„Reverse Psychology“ als Mittel der Erziehung

Man nennt die umgekehrte Psychologie auf Englisch „Reverse Psychology„. Eine ähnliche Strategie der Psychologie wäre die „paradoxe Intervention“. Es geht hier aber um psychologische Strategien, für die man nichts als Bauernschläue benötigt – nicht um eine anerkannte Methode der Psychologie.

„Du wagst es nicht, mich zu hauen!“

Offensichtlich sind alle Grundlagen für die Anwendung dieser Strategie bereits in unserem Geist angelegt. Es bedarf dazu keiner therapeutischen Ausbildung und keiner vertieften Kenntnisse psychologischer Theorien und Ansätze. Schon unter spielenden Kindern findet man absichtsvoll provokante Bemerkungen, die das Gegenteil von dem bezwecken sollen, was sie zu erreichen behaupten. „Du wagst es nicht, mich zu hauen!“, provoziert ein Junge einen anderen, nur um einen Auslöser für eine Klopperei zu finden. (Siehe übrigens auch: Soziale Kompetenz und Soft Skills bei Kindern, emotionale Intelligenz bei Kindern trainieren und das „Wutgesten“-Spiel)  Wie man daran sieht, kann praktisch jeder die Strategien der umgekehrten Psychologie erfolgreich anwenden – unabhängig von Bildungsstand und Alter, sozialer Herkunft und anderen Kriterien.

Dass Eltern ihre Kinder oft mit Mitteln der umgekehrten Psychologie dazu bringen wollen, etwas Bestimmtes zu tun, ist bekannt. Die Ursachen liegen im kindlichen Trotz. Dieser führt dazu, dem ständigen elterlichen Diktat automatisch innere Gegenwehr entgegenzusetzen. Das nennt man in der Psychologie die zitierte Reaktanz. So kennt die umgekehrte Psychologie Beispiele, bei denen die Eltern dem Kind gerade das Gegenteil von dem raten, was es eigentlich tun soll. Beim Spielen wird zum Beispiel gesagt „Ich wette, Du schaffst es nicht, mich beim XY-Spiel zu schlagen!“. Vor dem Erledigen der Hausaufgaben, bei denen das Kind gerne herumbummelt, wird bewusst provoziert: „Ich wette, Du bist mit dem Aufsatz nicht vor vier Uhr fertig. Schade, denn sonst wäre ich mit Dir in den Zoo gegangen.“ Das Kind verdoppelt daraufhin seine Anstrengungen aus eigenem Antrieb – so glaubt es zumindest. Es will der Mutter und sich selbst etwas beweisen.

Klappt umgekehrte Psychologie in der Erziehung immer?

Leider nicht. Man muss sich natürlich die Frage stellen, ob diese erzieherische Strategie – wenn sie dauernd angewendet wird – tatsächlich sinnvoll ist. Die umgekehrte Psychologie kann als manipulativ, provokativ, unfair und unehrlich kritisiert werden. Sie wird zudem als mit dem Risiko behaftet angesehen, nicht zuverlässig zu funktionieren. Außerdem untergraben die Erwachsenen damit ihre eigene Autorität und Überzeugungskraft. Sie provozieren das Kind, indem sie ihm eine negative Erwartung in den Weg stellen. Das sehen nicht nur Pädagogen kritisch.

Bei der paradoxen Intervention wird mit ähnlichen Mitteln gearbeitet. Auch hier soll der innere Widerstand gegen den gemachten Vorschlag eine gegenteilige Reaktion hervorrufen. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von einer „Anti-Suggestion“.

Indem der Therapeut mit dem Widerstand des Klienten arbeitet, statt gegen ihn zu opponieren, erscheint sein innerer Widerstand dem Klienten als weniger attraktiv – so zumindest lautet die Theorie dahinter. Daher kann man umgekehrte Psychologie bei Männern anwenden oder Frauen von Dingen überzeugen, indem man ihnen genau das Gegenteil von dem nahelegt, was sie tun sollen. Damit arbeiten nicht nur Therapeuten, sondern auch alle anderen Menschen in vielen Alltagszusammenhängen. Ob es gute Pädagogik ist, umgekehrte Psychologie als ständige Strategie anzuwenden, ist umstritten. Umstritten ist auch, umgekehrte Psychologie als Fachbegriff anzusehen.

Gibt es Beispiele anderswo?

Natürlich – und zwar viele! Man muss nur genau hinhören und -sehen. Sogar die Werbeindustrie hat sich längst auf solche Strategien eingelassen. Indem man einem Kunden suggeriert, ein bestimmtes Produkt sei nichts für ihn oder ist nur in limitierter Auflage für exklusive Kundenkreise verfügbar, produziert man bewusst einen Run darauf. Jeder will wissen, was daran so besonders ist und durch den erfolgreichen Kauf sein Image aufpolieren. Auch das ist umgekehrte Psychologie.

Der Begriff wurde möglicherweise von Theodor Adorno und Max Horckheimers Begriff „psychoanalysis in reverse“ abgeleitet, mit dem die beiden bestimmte Strategien der Kulturindustrie benannt hatten. Den meisten Menschen werden solche Strategien, die auch non-verbal untergebracht werden können, nicht bewusst. Man muss zum Beispiel nur immer wieder muskelbepackte Männer in einem Männermagazin abbilden. Damit provoziert das Magazin übergewichtige und dickliche Männer zu automatischen Vergleichen mit der eigenen Figur. Durch diese fühlen manche sich motiviert, abzunehmen oder zu trainieren. Es hätte jedoch keinen ähnlichen Effekt, würde man denselben Männern dicke Männer zeigen, um sie zum Trainieren und Abnehmen zu bewegen. Andere Männer bestellen frustriert das Zeitschriften-Abo ab.

In einem Beispiel umgekehrter Psychologie aus der Populärkultur reizt ein roter Knopf mit dem Schild „Nicht drücken“ dazu, es nun erst recht zu tun. Das trifft allerdings nicht auf jeden zu, denn viele Menschen achten das Verbot. Hier liegt auch die größte Schwäche der umgekehrten Psychologie: Sie ist keine verlässlich funktionierende und somit empirisch nachweisbare Strategie. Mal klappt sie, oft aber auch nicht. In der englischen Wikipedia wird allerdings darauf hingewiesen, dass es in der Literatur, in Kinofilmen, Romanen oder Cartoons zahlreiche Beispiele für umgekehrte Psychologie gibt. Als Beispiele werden Theaterdialoge von Shakespeare oder Episoden aus den „Simpsons“ herangezogen. Zahlreiche Beispiele aus dem Alltag liefert dieser Artikel. Frauen können demnach umgekehrte Psychologie bei Männern anwenden, die andere Interessen haben als sie selbst. Es klappt demnach oft genug, etwas als komplett langweilig und uninteressant darzustellen, um seinen Liebsten dazu zu bewegen, es ausprobieren zu wollen.

Die Trotzreaktion ist kein Privileg von Kindern

Jedes Elternpaar kennt die schwierige Trotzphase bei Kindern. Gerade hier versuchen sich viele Eltern darin, es mit Strategien umgekehrter Psychologie hinzubekommen, dass ihre Kinder „funktionieren“. Doch auch Erwachsene sind keineswegs frei von Trotzreaktionen. Es soll sogar Ehepaare geben, die ein ganzes Eheleben damit zubringen, stets genau das Gegenteil von dem zu tun, was der Partner möchte. Dass dies am Ende eine dysfunktionale Beziehung voller Widerspruchsgeist, Feindbilder und Anti-Haltungen ergeben kann, ist ein Extrembeispiel. Trotzdem kommt es vor.

Interessant ist auch, dass Kinder die Strategien der umgekehrten Psychologie durchaus durchschauen, wenn sie zu oft eingesetzt werden. Im NLP (vgl. Neurolinguistische Programmierung) wird die umgekehrte Psychologie / Reverse Psychology auch als Metaprogramm des „Gegenbeispielsortierers“ bezeichnet. Der sogenannte „Gleichbeispielsortierer“ stimmt Vorschlägen immer zu, der „Gegenbeispielsortierer“ tut etwas anderes.

Es geht um eine Gewohnheit, die sich im Laufe der Zeit verfestigt und automatisch abläuft. Wenn einem ein Verkäufer in der Anprobe eines Geschäfts sagt, ein bestimmter Anzug wirke vielleicht etwas „zu edel“ oder „zu sportlich“ an einem, passe vielleicht nicht so ganz zu einem, dann reagieren die Gegenbeispielsortierer demnach mit Trotz. Sie reden sich diesen (teureren) Anzug zum Beispiel schön und kaufen ihn am Ende anstelle einer günstigeren Alternative.

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