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Selbstbestimmtheit, Freiheit und finanzielle Unabhängigkeit?

Selbstbestimmtheit, Unabhängigkeit und finanzielle Freiheit (© Jürgen Fälchle / Fotolia)

Viele, die sich mit dem Thema „Soft Skills“ auseinandersetzen, bzw. sich privat dafür interessieren, machen das mit Hinblick auf ihre Karriere, ihren beruflichen Erfolg. Da gibt es angehende Vertriebler, die ihre Verkaufsskills verbessern wollen und sich mit den verschiedenen Verkaufstraining Themen auseinandersetzen. Sie wollen lernen, wie man authentisch rüberkommt, rhetorische Mittel erfolgreich einsetzt oder die eigenen Beratungskompetenzen ausbaut.

Dann gibt es die Besucher, die sich eher für die Entwicklung von Persönlichkeit und Charakter sowie die Verbesserung und/oder Vereinfachung ihres persönlichen, privaten Lebens interessieren. Hier geht es viel um Stress und Stressprävention, siehe Themen wie Achtsamkeitsübungen und Resilienz.

Last but not least erleben wir einen Anstieg an Interesse bzgl. der Themen Selbstbestimmtheit, selbstbestimmtes Leben, persönliche Unabhängigkeit und mithin auch finanzielle Unabhängigkeit. Gerade die „FIRE Bewegung“ (Financial Independence, Retire Early) wird und ist in der Generation der Millennials immer wieder Thema, sie den Wikipedia Artikel „FIRE movement“.

Wie sich die FIRE-Bewegung Selbstbestimmtheit und Unabhängigkeit vorstellt

Das Ziel ist, genügend „Assets“ (Geld oder renditebringende [Sach-]Anlagen) anzusparen und aufzubauen, dass die daraus resultierenden Einnahmen (Zinsen, Dividenden, Kursgewinne, Mieteinnahmen) etc. genügen, um seine allgemeinen, laufenden Lebenshaltungskosten davon zu bestreiten und für diese nicht mehr „klassisch“ arbeiten zu müssen. „Retirement“, das ja übersetzt eher „Zur Ruhe setzen“ bzw. „Rente“ meint, steht hier vor allem für einen gewissen Grad an Freiheit und Selbstbestimmtheit im Leben.

Um dieses Ziel möglichst schnell zu erreichen (rechnerische Details dazu weiter unten), gilt es vereinfacht:

  1. Einnahmen rauf,
  2. Ausgaben runter.

Die Erhöhung der Einnahmen ist für „klassisch angestellte“ Menschen hinsichtlich des Gehalts nur bedingt möglich, es sei denn man macht sehr groß Karriere und schafft es, sein Gehalt zu verdoppeln oder zu verdreifachen. Das ist für die wenigsten (kurz- bis mittelfristig) machbar. Und selbst wenn, so geht es doch in aller Regel mit einer großen Anstieg an Arbeitsstress (oft auch Arbeitszeit) und Verantwortung einher. Gerade 16h Arbeitstage sind der Generation der Millennials und Interessenten der FIRE-Bewegung aber (nachvollziehbar) eher fremd.

Wesentliches Buch der FIRE-Bewegung: Early Retirement Extreme von Jacob Lund Fisker - Wie sich finanzielle Unabhängigkeit und Selbstbestimmtheit im Leben erreichen lässt (Amazon)

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FIRE-Sympathisanten wollen ja gerade „raus aus dem Hamsterrad“ klassischer Karrieren und Angestelltenverhältnisse, rein in das (scheinbar) selbstbestimmte, freie und Freizeit- sowie Sinn-orientierte Leben. Damit wird Vielen klar, dass die Dimension „Einnahmen rauf“ auf anderem Wege erzielt werden muss/müsste. Entsprechend groß ist das Interesse an Themen rund um Geldanlage. Selbst wenn an sich kein ausgeprägter Kapitalist ist oder sein will, findet man sich bei Recherchen rund um finanzielle Unabhängigkeit plötzlich bei Themen wie Optionsscheinen, Hebelprodukten, Derivaten etc. wieder. Und die Verlockung großer Kapitalgewinne unter gleichzeitiger Nutzung von „alternativen“ Geld-Systemen treibt viele der Zielgruppe auch in das Bitcoin-Schlachtfeld. Cryptocurrencies / Digitalwährungen verheißen doch so große Profite…! (?)

Doch wie die jüngere Vergangenheit zeigt, ist auch der Bitcoin-Kurs keine Einbahnstraße. Herbe Kursverluste, geht man vom bisherigen Höchststand um die 20.000 USD auf zeitweise rund 5.000 USD aus, zeigen, dass Bitcoin erstens kein Allheilmittel ist, und zweitens große Rückschläge auf dem Sparweg drohen. Schnell kann man dort das im Angestelltenjob hart erarbeitete und angesparte Geld wieder „verzocken“ – und damit seine heiß ersehnte finanzielle Unabhängigkeit. – Man braucht also weitere Elemente einer vernünftig (Risiko-)diversifizierten FIRE-Strategie. Dass das auch Bitcoin-Jünger einsehen, zeigt zum Beispiel, dass klassische Portale der Kryptoszene nunmehr auch das Thema Geld verdienen breiter aufgreifen. Vorgestellt werden dort diverse Möglichkeiten, wie man – im besten Falle parallel zu einem bestehenden Job – noch weitere Einkünfte (online) erzielen kann. Dass dabei aber auch dort ebenso Aktivitäten gelistet sind, die nicht (nur) Einnahmen bescheren können, sondern bereits Erspartes wieder zunichte machen können, sollte man kritisch im Auge behalten.

Sparsamkeit für ein finanziell unabhängiges, selbstbestimmtes Leben?

Wenn es also (für den „Durchschnittsmenschen“) vergleichsweise schwierig scheint, seine Einnahmen so massiv zu erhöhen, dass man schon auf absehbare Zeit finanzielle Unabhängigkeit feststellen und vorzeitig „retire’n“ kann, dann bleibt nur die Kosten-/Ausgabenschraube. Denn zur Erinnerung: Das Mittel zum Zweck des „finanziellen Ausgesorgthabens“ sind ja Ersparnisse, und diese wiederum durch eine hohe Sparquote. Lässt sich die Sparquote nicht durch mehr Einnahmen signifikant erhöhen, muss man massiv Ausgaben reduzieren.

Das erklärt, warum viele Verfolger dieser Idee versuchen, ein relativ spartanisches, minimalistisches Leben im Alltag zu führen. Die Motivation auf den frühen „Ruhestand“ ist so hoch, dass im Hier und Jetzt Verzicht geübt wird – gar nicht so schlecht :-)! – Die Ausprägung ist individuell sehr unterschiedlich, bis hin zu extremer Konsumverweigerung.

Im o.g. Wikipedia-Artikel wird beschrieben:

  • At a savings rate of 10%, it takes (1-0.1)/0.1 = 9 years of work to save for 1 year of living expenses.
  • At a savings rate of 25%, it takes (1-0.25)/0.25 = 3 years of work to save for 1 year of living expenses.
  • At a savings rate of 50%, it takes (1-0.5)/0.5 = 1 year of work to save for 1 year of living expenses.
  • At a savings rate of 75%, it takes (1-0.75)/0.75 = 0.33 years of work to save for 1 year of living expenses.

(en.wikipedia.org/wiki/FIRE_movement)

New York Times Bestseller und Basislektüre der FIRE-Verfolger: Your Money or Your Life (Amazon)

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Wer es schafft, 75% seiner Einnahmen zu sparen, kann mit 10 Jahren Arbeit das 25fache seiner durchschnittlichen jährlichen Lebenshaltungskosten ansparen. Damit wäre man, auch ohne Kapitalerträge, schon sehr gut aufgestellt. Nur: Man muss schon ein relativ hohes absolutes Einkommen haben, um realistisch 3/4 des Einkommens wegzusparen. Zumindest wenn man unterstellt, dass die meisten Menschen Miete zahlen müssen.

Kritik oder Bewunderung?

Die Kalkulationsannahmen mancher FIRE-Freunde mögen nicht jeder Belastung standhalten – so sehr finanzielle Unabhängigkeit als Ziel nachvollziehbar ist. So stellt sich die Frage, ob man mit den gleichen durchschnittlichen Ausgaben/Lebenshaltungskosten, die man im Alter von 20-30 hatte, auch im Alter von 40-50 hat, leben kann und will. Stichwort: Kinder, größerer Wohnraumbedarf, allgemeine Teuerung.

Auch die erwarteten Kapitalerträge, die man sich vielleicht vor 10-15 Jahren mal ausgerechnet und geplant hat, sind in Zeiten von Niedrigst- bis Negativzinsen schwierig(er) zu erzielen. Beispiel: Wenn jemand ausgerechnet hat:

  • monatlicher Finanzbedarf für die Lebenshaltung: 2000 EUR = 24.000 EUR / Jahr
  • Sparziel: 480.000 EUR
  • unterstellte jährliche Nachsteuerrendite der Geldanlage: 5%

dann schien die frühere Planung aufzugehen. Hat man das Sparziel erreicht und realisiert tatsächlich die genannte Rendite/Verzinsung (nach Steuern), dann kann man seinen Lebensunterhalt von Zinsen bestreiten. Nur: Schafft man es (heute und vor allem: regelmäßig Jahr für Jahr), diese Verzinsung zu erreichen?!

Auf der anderen Seite: Es ist verständlich, dass Menschen sich wünschen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Weder prekäre Beschäftigungsverhältnisse noch die „Grow-or-go“-Atmosphäre von manch Unternehmensberatung ist geeignet, zufriedene und glückliche Menschen zu ermöglichen. Überall dort, wo „Management by Angst“ betrieben wird, braucht man sich nicht wundern, wenn die Leute sich nach anderen Optionen sehnen, Ihr (Erwerbs-)Leben anders zu gestalten. Die Menschen, die sich Gedanken über ihre  Lebensvision und Lebensmotive machen, und ihre wahren Lebensziele zu formulieren versuchen, werden darin eher selten als regelmäßig ihren aktuellen Arbeitgeber finden. Stattdessen tauchen dort plötzlich Träume, Wünsche und Visionen für ein Leben auf, deren Realisierung eben erfordert, aus dem bisherigen Angestelltendasein herauszubrechen. Da das Leben aber nunmal auch sein Geld kostet, muss man auf irgendeine Art und Weise eben Geld verdienen. Und so ist es in gewisser Weise verständlich, dass so viele jüngere Menschen „online Geld verdienen“ wollen, oder „durch Bitcoin-Trading reich werden“ wollen.