
Wenn Mediziner, Soziologen, Ethnologen oder Psychologen sich mit der Stressbelastbarkeit befassen, reden sie meistens von Resilienz. Definiert wird dieser Fachbegriff für Stressbelastbarkeit als die menschliche Fähigkeit, auf erhöhte Belastungen, hohe Anforderungen oder krisenhafte Lebenssituationen angemessen und besonnen zu reagieren. Stressbelastbarkeit beinhaltet, eine gewisse Selbstfürsorge sowie effektive Problemlösungs-Strategien zur Entlastung zu entwickeln.
Stressbelastbarkeit: Unterschiedliche Definitionen
Für den Fachbegriff für Stressbelastbarkeit hat es in verschiedenen Zeiten unterschiedlich weit gefasste Definitionen gegeben (wir verwenden im Soft Skills Würfel eher durchgängig den Begriff Stressbewältigungsvermögen). Früher schrieb man beispielsweise einzelnen Menschen eine hohe Stressbelastbarkeit zu (Attribution). Durch diese angeborene oder erworbene Fähigkeit waren solche Menschen ‚einfach‘ in der Lage, in schweren Krisen ihre seelische Gesundheit zu bewahren.
Später sahen die Psychologen den Begriff „Stressbelastbarkeit“ in einem weiter gefassten Kontext – und zwar weil Menschen in jeder Lebenssituation im Vorteil sind, wenn sie eine hohe Belastbarkeit gegenüber Stressoren aufweisen. Dünnhäutige Menschen regen sich auch über Kleinigkeiten auf. Menschen mit geringer Resilienz fühlen sich am Arbeitsplatz leicht überfordert. Menschen, die aufgrund nicht verarbeiteter Erfahrungen oder Traumata zu neurotischen Verhaltensweisen neigen, können Enttäuschungen und Frustrationen nur schwer aushalten.
Stressbelastbarkeit bedeutet also, eine hohe Frustrationstoleranz zu entwickeln. Diese bringt einen krisenfesten und ausgeglichenen Geisteszustand. Menschen mit hoher Stressbelastbarkeit entwickeln kreative Strategien zum angemessenen und lösungsorientierten Umgang mit Krisen.
Der erweiterte Begriff der Stressbelastbarkeit wird heute sogar auf ganze Gesellschaften oder Bevölkerungsgruppen übertragen. Als Beispiele nennt die Wikipedia Vietnamesen oder europäische Juden in den USA. Der enge Zusammenhalt, die gemeinsame Identitätsbestimmung und die starke soziale Unerstützung in solchen Bevölkerungsgruppen kann demnach eine erhöhte Stressbelastbarkeit der gesamten Gruppe hervorbringen.
Resilienzforschung in Kürze
Begriffe wie Stresstoleranz, Stressbewältigungsvermögen oder Resilienz wurden ab den Fünfzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts relevant. Den Begriff „Resilienz“ für eine hohe Stressbelastbarkeit prägte der kalifornische Psychologe Jack Block. Noch mehr wird die Begrifflichkeit der Stressbelastbarkeit aber mit den Pionierstudien der amerikanischen Forscherin Emmy Werner sowie deren Kollegin Ruth Smith verbunden. Einer der wichtigsten Schlüsse aus diesen Studien war, dass ein besser Umgang mit Stress erlernt werden kann – man können danach durch Übungen und Lernen seine Stressbelastbarkeit erhöhen. Zwar hatte es bereits vorher verschiedene Studien zu diesem Thema gegeben. Sie wurden aber in der Öffentlichkeit nicht als wichtige Schlüsselstudien wahrgenommen. Als Beispiel sind die Studien von Norman Garmezy und seiner Nachfolgerin Ann Masten – die ehemals seine Assistentin war – zu nennen.
Auch die amerikanischen Soziologen oder Ethnologen interessierten sich dafür, wie man die Stressbelastbarkeit der Menschen erhöhen könnte. Forscher wie Glen Elder, Boris Cyrulnik, Louis Henri Seukwa, Corina Wustmann, Suniya S. Luthar haben in diesem Themenkreis wichtige Erkenntnisse zur Stressverarbeitung und Stressfähigkeit beigesteuert. Einig ist man sich, dass der Grad Resilienz nicht nur von einer einzelnen Person abhängt, sondern immer von den veränderbaren Zusammenhängen beeinflusst wird, in denen diese Person steht. Starke soziale und kulturelle Bindungen, hoher Bildungsstand, aber auch soziale Intelligenz, eine gute Impulskontrolle, Beziehungsfähigkeit (vgl. auch das Schlagwort: Beziehungskompetenz) oder starkes Selbstvertrauen stärken die Stressresilienz. Man kann also seine Stressbelastbarkeit erhöhen, indem man jedem dieser Faktoren mehr Aufmerksamkeit entgegenbringt. Defizite in einigen Bereichen können durch Training überwunden werden.
(www.youtube.com/watch?v=T1tdCBxJI5A)
Immer mehr Stressoren wirken auf uns ein
Angesichts einer immer stressiger und komplexer werdenden Lebenswelt ist deutlich mehr Resilienz von jedem Einzelnen gefordert. Ob wir es wollen oder nicht: Wir müssen unsere individuelle Stressbelastbarkeit erhöhen, um als leistungsfähige Individuen im modernen Leben bestehen zu können. Potenzielle Stressoren wie
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- ständige Erreichbarkeit
- häufige Überstunden
- hoher Leistungsdruck
- ständige Lärmbelastung
- anhaltende Finanzprobleme
- der Tod nahestehender Personen
- Cybermobbing
- ständiges Multitasking
- zunehmende Oberflächlichkeit in Beziehungen
- eine angsteinflößende Kriegsrhetorik
- zunehmende Umweltschäden…
und viele andere Dinge mehr zwingen uns dazu, uns innere und äußere Rückzugsräume zu schaffen. Wir benötigen außerdem kreative Strategien, die uns helfen, mit potenziellen Problemfeldern wie Leistungsdruck, Trauer, Verrat, Ängsten oder Liebeskummer umzugehen.
Wie können wir unsere Stressbelastbarkeit erhöhen?
Die Stressbelastbarkeit zu erhöhen, gelingt uns sicher nicht, in dem wir uns phasenweise dicht machen, akute Probleme einfach aussitzen und solchen Stressoren mit Gleichgültigkeit begegnen. Wichtig ist, dass wir unsere Belastbarkeit erhöhen, indem wir unsere Persönlichkeit (siehe hier zum Thema Persönlichkeitstest) besser auf den Umgang mit Stress einstellen. Lernen wir das nicht, ist häufig ein Burn-out die Folge. Auch Depressionen (siehe auch: Umgang mit depressiven Menschen), Panikattacken, Phobien, diffuse Ängste und andere psychische Erkrankungen sind eine häufige Begleiterscheinung mangelnder Stressbelastbarkeit (vgl. das eBook „Angst verstehen“ zu den diversen Formen von Angsterkrankungen).
An Arbeitsplätzen mit hohem Konzentrations- und Leistungsdruck – zum Beispiel in der Flugsicherung – wäre es eine gute Maßnahme, wenn die Mitarbeiter regelmäßig ein Resilienztraining absolvieren könnten.
Methoden, um Stressresistenz / Resilienz zu erhöhen
Die Neigung zu neurotischen Reaktionsmustern erschwert es Menschen, die individuelle Stressbelastbarkeit zu erhöhen. Menschen, die ein geringes Selbstwertgefühl haben, lassen sich in Krisenzeiten leicht von Bedenken, Ängsten, Panik und den eigenen Gefühlen der Unzulänglichkeit überrollen. Um die Stressbelastbarkeit zu erhöhen, müssen solche Menschen lernen, anpassungsfähiger, belastbarer und kreativer zu werden. Sie müssen das Selbstvertrauen besitzen, dass auch eine Krise sie nicht aus der Bahn werfen wird (vgl. auch Selbstbewusstsein als Soft Skill im Soft Skills Würfel). Jede Krise bietet auch die Gelegenheit, an ihr zu wachsen. Krisen fordern jeden Menschen heraus, sein Potenzial zu erweitern.
Buddhistisches Geistestraining in Form von Achtsamkeits-Meditation ist ein Beispiel, wie jeder über die Jahre lernen kann, eine höhere Stressbelastbarkeit zu entwickeln (siehe auch: Achtsamkeitsübungen).
Andere Formen, die Stressbelastbarkeit zu erhöhen, bieten
Weitere Ansätze und Formen, Resilienz zu stärken, sind
- gezieltes Atemtraining oder
- Parasympathikus anregen

Die Erkenntnis der modernen Psychologie lautet: Je weniger Stressbelastbarkeit oder je mehr Vulnerabilität jemand aufweist, desto eher ist er in Gefahr, eine psychische Erkrankung zu entwickeln. Davon abgesehen, sind auch Stresserkrankungen wie hoher Blutdruck oder Herzrasen eine mögliche Folge.
Selbstmanagement oder Hilfestellung?
Ohne die Stressbelastbarkeit zu erhöhen, wird man bei bereits angeschlagener Gesundheit oder seelischer Überlastung nicht zurechtkommen. Die steigende Zahl psychischer Erkrankungen und Burn-out-Diagnosen sollte zu denken geben.
Wer sich nicht zu effektivem Selbstmanagement in der Lage sieht, durch sinnvolle Strategien wie ein Stehaufmännchen aus Problemen hervorzugehen, sollte sich bei den ersten Anzeichen mangelnder Resilienz fachkundige Hilfe holen.
Es ist eine Frage der Übung, Stressoren als solche zu erkennen und ihre fatale Wirkung auf Psyche oder Körper zu erkennen. Außerdem kann jeder interessierte Mensch schrittweise lernen, besser mit Druck umzugehen. Es ist in diesem Zusammenhang wichtig, sich nicht mehr mit jedem Ärger zu identifizieren, Kritik kreativ zu verwerten und gelassener mit Krisen umzugehen. Auch gibt es interessante Zusammenhänge zwischen guter Motivation und Stressresistenz. Siehe auch: Wirkung von Stress – negativ wie positiv.
Die interessante Frage in diesem Kontext ist aber, wie weit man seine individuelle Stressbelastbarkeit erhöhen sollte, bevor man seine persönliche Grenze ziehen muss. Es kann nicht darum gehen, seine Stressbelastbarkeit endlos auszudehnen, um immer unerträglichere Arbeits- oder Lebensbedingungen auszuhalten. Manchmal ist es einfach besser, einen stressigen Job zu kündigen, als sich dem übermäßigen Leistungsdruck in einem frustrierenden Arbeitsumfeld anpassen zu wollen (siehe hierzu auch die lehrreichen Ausführungen im Buch „GSK – Gruppentraining Soziale Kompetenz“, konkret im Kontext des Teilkapitels „Situationale Überforderung“).
Dass es in einer komplexen Lebens- und Arbeitswelt notwendig ist, seine Stressbelastbarkeit zu erhöhen, oder sein Selbstvertrauen zu stärken, steht außer Frage. Interessant ist allerdings die enorme Stressbewältigungsfähigkeit unter buddhistischen Mönchen und Nonnen. Viele Ordinierte, die jahrelang unter extremen Bedingungen, bei Folter, Hunger und Kälte, in chinesischen Lagern interniert waren, fanden im Buddhismus die geeigneten Mittel, ihren Geist nach jahrelangem Training frei von jedwedem Stress zu halten. Ob diese Fähigkeit zur Resilienz allerdings auch im Leben von Nicht-Ordinierten verwirklicht werden kann, bleibt dahingestellt. Die inneren und äußeren Konditionen und das, was man als Individuum an potenziellen Fähigkeiten und antrainierten Strategien mitbringt, müssen eben stimmen.
(www.youtube.com/watch?v=lKHOHcZLNug)