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Eigendynamik von Systemen – verstehen und einkalkulieren

Eigendynamik von Systemen (© Corgarashu / Fotolia)

Was „wird“ statt was „ist“

Systemisches Denken bedeutet nicht nur, Interdependenzen zwischen Variablen eines Systems zu kennen und zu berücksichtigen, sondern auch die Eigendynamik von Systemen einzukalkulieren, wenn langfristige Veränderungen an einem System geplant sind.

IST-Analysen vs. WIRD-AnalysenGerade im Geschäftsleben wird dies oft vergessen, nicht zuletzt deshalb, weil in Schulen und Hochschulen das Anfertigen von IST-Analysen immer und immer wieder durchgekaut wird, statt die später auf die Wirtschaftswelt losgelassenen Young Professionals und High Potentials auf die viel wichtigere WIRD-Analyse zu fokussieren.

Natürlich sind IST-Analysen wichtig…

Ist-Analysen sind wichtig – keine Frage. Eine Ist-Analyse soll den Status quo ermitteln, auf dessen Basis dann Entscheidungen getroffen und Veränderungen umgesetzt werden. Einfach so drauf los zu handeln ist keine gute Idee. Jedoch davon auszugehen, dass sich ein System bzw. Systembestandteil überhaupt nicht weiter entwickelt, wenn Sie die aufgrund der Ist-Analyse getroffenen Entscheidungen umsetzen, ist auch kaum besser. Denn: Nur die allerwenigsten Variablen in einem System sind absolut statisch. Situationen verändern sich, denn Menschen wir auch Rahmenbedingungen verändern sich, entwickeln sich weiter. Wer dies nicht berücksichtigt – insbesondere bei längeren Veränderungsprozessen – braucht sich nicht darüber wundern, dass der gewünschte Effekt nicht, nur teilweise oder sogar ins Gegenteil verkehrt eintritt.

.. aber ohne Fokus auf Prozess und Entwicklung nur bedingt hilfreich

Wer systemisch denken und entsprechend handeln will, muss seinen Fokus nicht auf Zustände, sondern auf Prozesse lenken. Bei der Bewertung eines Aktienmarkts oder dem Marktanteil eines Unternehmens ist weniger entscheidend, wie der aktuelle Absolutwert ist. Sicher liefert dieser Wert eine Aussage – und kann eine so genannte Indikatorvariable sein. Viel wichtiger und für in Echtzeit angemessenes Handeln elementar ist die derzeitige Entwicklung des Aktienmarkts oder Marktanteils.

Die Implikationen eines Marktanteils von 30% und die in Angriff zu nehmenden Handlungen können ganz anders sein und davon abhängen, ob der Marktanteil in den letzten 6 Monaten von 40% auf 30% abgesunken ist oder das gleiche Unternehmen seinen Marktanteil im letzten Halbjahr von 15% auf 30% verdoppelt hat. Wer hier lediglich eine IST-Analyse macht und den Marktanteil von 30% feststellt, erledigt nur die halbe Arbeit. Und auch den hier beschriebenen Vergangenheitstrend zu berücksichtigen, ist nicht etwas die andere Hälfte der Arbeit. Die andere Hälte besteht in der Extrapolation von Trends, d.h. dem Hochrechnen der Entwicklung auf die nähere, mittelfristige und längere Zukunft.

Extrapolation – Für und wider

Eine Extrapolation ist sicher nicht immer zuverlässig. Ihre Zuverlässigkeit hängt insbesondere von der vorhandenen Datenbasis ab, d.h. wie umfangreich die vorhandenen Daten sind, wie repräsentativ von der Zahl der Erhebungen und der Dauer der Messung. Aber selbst wenn die Extrapolation nur eine ganz grobe Orientierung vorgibt, so ist diese Orientierung bei weitem mehr wert als die Feststellung eines statischen Zwischenstands. Jedes System hat eine Eigendynamik und entwickelt sich weiter. Das gilt zwangsläufig auch für die Systemvariablen.

Jedes System hat eine Eigendynamik, und diese wird viel zu selten berücksichtigtDiese Eigendynamik wird viel zu selten berücksichtigt. Gerade bei Personalentwicklungsmaßnahmen wird – wenn die Entwicklung der Mitarbeiter überhaupt gezielt angegangen wird – zu einem Zeitpunkt X auf Basis einer „IST-Analyse“ (Potentialanalyse, Mitarbeitergespräch, Selbstbild/Fremdbild-Abgleich o.ä.) ein Entwicklungsplan aufgestellt. Dieser Entwicklungsplan umfasst nicht selten 3 oder mehr Jahre, zum Beispiel wenn es darum geht, die konzerninterne Management-Ausbildung zu durchlaufen, ein Trainee-Programm zu absolvieren oder ähnliches. Dabei geht kaum ein Entwicklungskonzept darauf ein, dass sich der Mitarbeiter bereits während der Personalentwicklung weiter verändert – durch die Entwicklung selbst und auch nebenbei. Wer hier seine Maßnahmen und einmal fixierten Entwicklungsschritte nach einem sturen Plan abläuft, wird mit zunehmendem Zeitablauf möglicherweise immer ineffektiver bezüglich der Erreichung echter „Weiterentwicklung“.

Verdeutlichungsbeispiel: Kurssteuerung eines Bootes

Das beste Beispiel zur Verdeutlichung der Eigendynamik von Systemen – und das überschneidet sich mit dem Wissensbaustein „Tendenz zur Übersteuerung“ – bietet immer noch das Steuern von in Fahrt befindlichen Fortbewegungsmitteln:

Wer den Kurs eines Bootes verändern möchte, muss beim Einlegen des Ruders nicht nur die aktuelle Position berücksichtigen, sondern auch die Richtung und Geschwindigkeit der aktuellen Fahrt mit einkalkulieren, denn bereits 30 Sekunden nach einer „IST-Analyse“ kann das Boot bei bereits eingeschlagenem Ruder ganz woanders sein…

Zusammenfassung: Eigendynamik von Systemen

  • Systemisches Denken beinhaltet das Berücksichtigen der Eigendynamik von Systemen.
  • WIRD-Analysen aus der Extrapolation der letzten Trenddaten sind für systemisches Denken weitaus wichtiger als IST-Analysen.
  • Beim systemischen Denken zählt daher der Prozess, nicht der Zustand.

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