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Euphorie, Gier, Überschwänglichkeit

Gier ist sicherlich kein Soft Skill. Zu negativ ist das Wort besetzt in unserem Kulturraum. Googelt man danach, blendet die Suchmaschine uns als erste schnelle Erklärung ein: „auf Genuss, Besitz und Erfüllung von Wünschen gerichtetes, heftiges, ungezügeltes Verlangen“. Im amerikanischen Kulturkontext hat es eine geringfügig höhere Akzeptanz, könnte man meinen. Oder zumindest eine etwas weniger negative Wertung. Hier nimmt man auch wahr: Gier bedeutet auf der positiven Seite auch Antrieb und Motivation – zumindest bezogen auf wirtschaftliches Handeln, Beruf, Erfolg, Karriere. Das „ungezügelte Verlangen“ kann unglaublich anspornen, Kraft geben, Initiative und Ausdauer fördern. Gier kann Kreativität sprudeln lassen. Und sie kann (auf einem funktionierenden Weg zu „immer mehr und mehr“) zu einem gewissen „Flow“ (hier gut erklärt), Euphorie und damit auch Glücksgefühl führen.

Geld, Gier, Gefühle (© Tobias Kaltenbach / Fotolia)
Geld, Gier, Gefühle (© Tobias Kaltenbach / Fotolia)

Genau dieses Erlebnis scheinen immer mehr Menschen zu haben, die sich dem „Wilden Westen“ des 21. Jahrhunderts widmen: dem Handel mit Kryptowährungen wie Bitcoin, Ethereum & Co. Angetrieben von irrsinnig hohen Kursgewinnen in den letzten (wenigen) Jahren, lockt es immer mehr (auch naive) Kleinanleger in einem Kosmos, den sie weder durchschauen, noch vermutlich jemals verstehen werden. – Wer sich einmal die Mühe gemacht hat, ein fundiertes Buch zu Blockchain, Bitcoin und Kryptoassets zu lesen und zu verstehen, wird wissen, was ich meine. Und ich meine seriöse Bücher, aus universitärem Hintergrund, etwa das hier. Selbst für jemandem mit einem akademischen Hintergrund aus dem Bereich der Wirtschaftsinformatik sind die technischen Grundlagen von Blockchains, Proof-of-Work, Proof-of-Stake, Liquidity Mining etc. „starker Tobak“.

Dennoch boomen die Anmeldezahlen bei Krypto-Börsen wie Kraken, Coinbase und Co. Und nahezu jeden Tag flattern Mails in unseren Posteingang, die irgendwelche brandneuen Angebote aus dem Kryptotrading-Umfeld bewerben; gestern etwa zu einer automatisierten Handels-App namens Bitcoin Up App. – Teilweise ist die Quantität und Schnelligkeit so hoch, mit der solche Angebote auf den Markt kommen, dass man kaum mehr Zeit und Chance hat, diese im Detail zu prüfen und die Spreu vom Weizen zu trennen.

Klar ist: Wo riesiges Wachstum ist, und größere Mengen von „Ich wurde reich“-Storys durch die Social Medias getrieben werden, da lässt sich das ganze Spektrum der Ökonomie und Märkte erleben. Da ist einerseits viel Geld für Innovationen da (z.B. in Form von Venture Capital), andererseits ebenso viel Platz für Scams, Bauernfang und Schneeball-Systeme.

Es ist per se nicht immer Betrug, wenn Leute davon berichten, wie sie aus wenigen Hundert Euro mit Bitcoin (BTC) und Ethereum (ETH) und Doge Coin einige Zehntausend Euro gemacht haben. Ich kenne persönlich einen solchen Fall mit sechsstelligen Gewinnen aus Bitcoin Trading. Und dessen Anfang war wahrscheinlich auch nur Neugierde, Naivität und letztlich Gier. Und auf dem Weg nach oben kam viel Überschwänglichkeit, Begeisterung und Motivation dazu, noch mehr zu lernen und noch mehr Neues auszuprobieren. Letztlich positive Aspekte bezogen auf Soft Skills und Persönlichkeitsentwicklung.

Die Kehrseiten | Auch Soft Skills haben ihre zwei Seiten…

Man darf aber auch nicht vergessen, dass blinde Gier, Überschwänglichkeit und entfesselte Euphorie in aller damit verbundenen Emotionalität eben auch „dumm machen“ können, eben „blind“ für Risiken und Konsequenzen. Und das kann man nicht nur ein bisschen, sondern „at large scale“ beobachten. In bullishen Zeiten kann man eben wirklich (fast) alles kaufen, was auf den Tisch (ähm, die Handelbarkeit bei der eigenen Kryptobörse) neu kommt. Aber: Smart ist das nur, wenn man rechtzeitig auch wieder verkauft bzw. irgendwann Gewinne auf dem (digitalen) Papier auch mitnimmt. Und: Man sollte sehr genau schauen, wohin und an wen man sein Geld überweist. Denn je lauter die Versprechen nach schnellem Reichtum sind, umso misstrauischer sollte man werden. Und dann ist Misstrauen plötzlich ein Soft Skill. Obwohl es nüchtern und einzeln betrachtet ja auch eine eher negative Schwingung (Wertung) als menschliche Eigenschaft hat. – Das wiederum zeigt, wie sehr es auch vom Kontext abhängt, ob eine persönliche Eigenschaft (ein Charaktermerkmal) im positiven Sinne ein „Soft Skill“ ist, oder nicht. Ganz im Sinne des NLP-Grundsatzes: Jedes Verhalten hat einen Kontext, in dem es nützlich ist (oder scheint). Siehe auch: Soft Skills erfolgreicher Anleger. (12.08.2021)